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Ratgeber: Bremsen-Tuning (2018)

Ein paar Meter können entscheidend sein

19.07.2018 13:14 Uhr

Text und Fotos: Tom Bauer


Tiefer, breiter, schneller ... Aber: Nur wenige machen sich auch Gedanken darüber, wie sie schneller wieder zum Stehen kommen. Wird doch einmal Geld in die Bremsanlage investiert, dann meist in gelochte oder geschlitzte Scheiben und vielleicht noch Lack für die Bremssättel. Das Auge bremst ja schließlich mit.

Dass eine funktionierende Bremsanlage wichtiger ist als ein paar zusätzliche PS und schicke Anbauteile, zeigt sich erst dann, wenn es drauf ankommt – bei einer Not- oder Gefahrenbremsung. Kontrollen zeigen leider immer wieder, dass viele Fahrzeuge mit schlecht funktionierenden oder verschlissenen Bremsen unterwegs sind. Unsachgemäße Wartungsarbeiten oder Umbauten an benachbarten Baugruppen, welche sich dann direkt auf die Bremsanlage auswirken, kommen oft hinzu. Damit ihr nicht ins Leere tretet und rechtzeitig zum Stehen kommt, hier einmal Basics zum Thema Bremsanlage.

Funktionsweise von Pkw-Bremsen

Pkw müssen über mindestens zwei unabhängig voneinander wirkende Bremssysteme verfügen. Das sind in der Regel die Betriebsbremse und die Feststellbremse. Dabei muss die Betriebsbremse seit 1967 mindestens zweikreisig ausgeführt sein. Das bedeutet, es sind zwei Druckkreise vorhanden, die getrennt voneinander und zumeist über Kreuz arbeiten. Kommt es zum Ausfall oder Defekt, ist vermutlich nur ein Bremskreis betroffen und das Fahrzeug kann mit dem verbleibenden Bremskreis abgebremst werden. Möglich ist auch eine Aufteilung auf jeweils drei Räder, zwei Bremskreise an allen Rädern oder ein Bremskreis für alle vier Räder und ein weiterer auf die Räder der Vorderachse. Beim Bremsen wird in den Bremsleitungen Druck aufgebaut und an die Bremsen aller vier Räder übertragen. Dadurch schließen sich die Bremszangen und drücken die Beläge gegen die Scheiben (Scheibenbremsen). Ist euer Fahrzeug an der Hinterachse (HA) mit Trommelbremsen ausgerüstet, werden dort die Bremsbeläge beziehungsweise -backen gegen die umlaufende Trommel gedrückt und so die Bremswirkung erzielt. Die Bremswirkung von Scheibenbremsen ist deutlich besser als die von Trommelbremsen.

Da sich Energie nicht vernichten, sondern nur umwandeln lässt, wird beim Bremsvorgang die Bewegungsenergie durch Reibung in Wärme umgewandelt. Dabei können sich Bremsscheiben auf über 800 °C erhitzen. Für Abkühlung sorgt in der Regel der Fahrtwind. Leistungsstarke Fahrzeuge verfügen oft auch über ein aktives Kühlsystem, wenn das alleinige Anströmen mit Fahrtwind keine ausreichende Kühlung mehr gewährleisten würde.

Was gerne vergessen wird: Reifen spielen beim Bremsen eine nicht zu verachtende Rolle. Eine maximale Verzögerung wird nämlich durch die Reifen und nicht durch die Bremsanlage begrenzt. Ist das Rad erst zum Stehen gekommen, hängt der weitere Verlauf des Bremsmanövers nämlich von der Haftreibung ab. Ein guter Reifen bremst daher auch besser als ein Reifen an der Verschleißgrenze.

Die Bremsflüssigkeit

Bremsleitungen sind mit spezieller Flüssigkeit befüllt. Die liebt Wasser, nimmt dieses aus der Luft auf und bindet es. Das Binden des Wassers ist äußerst wichtig, denn würden sich in der Bremsanlage Wassertropfen befinden, könnten diese zu Rost führen und im Winter gefrieren. Umgekehrt würde das Wasser bei rund 100 °C seinen Siedepunkt erreichen und verdampfen. Die Dampfblasen ließen sich beim Tritt aufs Bremspedal komprimieren, was einen spürbaren Druckverlust bis zum Ausfall der Bremse zur Folge hätte.

Aktuell gibt es drei Klassen, in die Bremsflüssigkeiten eingeteilt sind: DOT-3, DOT-4 und DOT-5. Die Unterschiede liegen unter anderem bei Siedepunkt, Nass-Siedepunkt und Fließverhalten bei hohen und niedrigen Temperaturen. Der Siedepunkt der unterschiedlichen Klassen liegt bei ca. 200 °C und 260 °C. Der Nass-Siedepunkt liegt deutlich darunter und ist schon zwischen 140 °C und 180 °C erreicht. Der Nass-Siedepunkt wird unter Zugabe von ca. 3,5 % Wasser ermittelt. Das ist auch die Menge, bei der es zu Funktionsausfällen kommen kann. Bremsflüssigkeiten unterschiedlicher DOT-Klassen dürfen nicht gemischt werden! Welche Bremsflüssigkeit sich in eurem Fahrzeug befindet, seht ihr zumeist am Deckel des Bremsflüssigkeitsbehälters.

Bremsflüssigkeit zieht immer Wasser. Egal, ob die Kiste steht oder fährt. Wasser in der Bremsflüssigkeit setzt deren Siedepunkt herab. Deshalb sollte – unabhängig von der Fahrleistung – alle zwei Jahre der Tausch der Bremsflüssigkeit inklusive Entlüftung der Anlage erfolgen. Ist zwar mit Kosten verbunden, kommt aber in jedem Fall billiger als ein Abflug. Mit der Bremse verhält es sich ähnlich wie mit Dämpfern und Federn. Fährt man sein Auto über längere Zeit, gewöhnt man sich an den Verschleiß und merkt den Unterschied zu einer intakten Anlage erst dann, wenn diese wieder auf Vordermann gebracht wurde.

Die Bremsscheiben

Bremsscheiben sind beim Blick auf die Räder eigentlich immer präsent. Neben den Bremssätteln wird daher sehr oft Hand angelegt. Große Scheiben, am besten mit Löchern und Schlitzen, in Verbindung mit großen Sätteln suggerieren: Hier muss eine Menge Energie (Geschwindigkeit) vernichtet werden. Und die kann nur erzeugt werden, wenn ordentlich Dampf unter der Haube steckt. Bei Bremsscheiben unterscheidet man zwischen unbelüfteten und belüfteten Scheiben. Letztere gibt es als innenbelüftete und außenbelüftete Variante. Bei unbelüfteten Scheiben besteht die Bremsfläche aus einer massiven Scheibe. Bei belüfteten Scheiben besteht die Bremsfläche hingegen aus zwei Bremsflächenseiten, die durch einen Ventilationskanal und durch Rippen oder Pfeiler verbunden sind. Die zirkulierende Luft sorgt für eine zusätzliche, effektive Kühlung der Scheiben.

Gelochte oder geschlitzte Bremsscheiben sollen Wasser und Bremsabrieb schneller von der Bremsfläche ableiten und das Ansprechverhalten spürbar verbessern. Oftmals wird diesen Scheiben aber ein erhöhter Verschleiß der Bremsbeläge nachgesagt oder die verbesserte Bremsleistung gänzlich infrage gestellt. Die Haltbarkeit hängt vor allem von der Qualität und dem Grad der Inanspruchnahme ab. Weisen eure Scheiben ein unauffälliges und gleichmäßiges Verschleißbild auf, könnt ihr die vorgeschriebene Mindeststärke der Scheiben als Indikator für einen fälligen Wechsel hernehmen. Die Mindeststärke der Scheiben ist auf jeder (zulässigen) Bremsscheibe eingraviert und sollte spätestens nach einer Reinigung zu sehen sein.

Möchtet ihr eure Bremsanlage tunen und mit Sportscheiben aus dem Zubehör aufwerten, dann achtet beim Kauf unbedingt darauf, dass die Scheiben vorschriftsmäßig gekennzeichnet und zulässig sind. Bei zulässigen Bremsscheiben wird zwischen Original-Bremsscheiben, identischen Bremsscheiben und gleichwertigen Bremsscheiben unterschieden. Original-Bremsscheiben sind von den Bestimmungen der dazugehörigen ECE-R 90 ausgenommen, sofern sie den gleichen Kenncode tragen wie die Bremsscheiben, die bei Erlangung der EG-Typgenehmigung der Bremsanlage beziehungsweise des gesamten Fahrzeugs verbaut waren. Der Kenncode muss mindestens den Herstellernamen oder die Handelsmarke und eine Identifizierungsnummer erhalten. Er muss deutlich lesbar und unauslöschlich angebracht sein.

Identische Bremsscheiben sind Ersatz-Bremsscheiben, deren chemische und physikalische Merkmale in jeder Hinsicht mit denen der Original-Bremsscheiben identisch sind (mit Ausnahme der fehlenden Handelsmarke des Herstellers). Gleichwertige Bremsscheiben sind Ersatz-Bremsscheiben, deren Abmessungen, geometrische Merkmale, grundlegende Konstruktionsmerkmale und Materialbeschaffenheit mit denen der Original-Bremsscheiben identisch sind. Des Weiteren müssen Name des Herstellers oder die Handelsmarke, Genehmigungsnummer, Angaben zur Rückverfolgbarkeit des Produktionsprozesses (zum Beispiel Datum und Seriennummer) sowie die Mindestdicke der Bremsscheibe ersichtlich sein. Durch die Genehmigung der ECE-R 90 wird bestätigt, dass die Ersatzteile so gebaut sind, dass die Bremswirkung weiterhin der des genehmigten Fahrzeugtyps entspricht. Werden Bremsscheiben getauscht, müssen in jedem Fall auch die Bremsklötze mitgetauscht werden!

Die Bremsklötze

Wie eure Bremse anspricht und wirkt, hängt auch von den Bremsklötzen ab. Schließlich werden die Bremsscheiben von diesen in die Zange genommen und das Rad dadurch zum Stehen gebracht. Die Bremsklötze bestehen aus Trägerplatte, Dämpfungsschicht, Zwischenschicht, Reibmaterial und Einlaufschicht. Bei Bremsklötzen wird zwischen Original- und Ersatz-Bremsklötzen unterschieden. Ersatz-Bremsklötze sind solche, die den Anforderungen der ECE-R 90 entsprechen und als geeigneter Ersatz genehmigt wurden. Zulässige und genehmigte Bremsklötze weisen eine entsprechende Kennzeichnung auf und geben Aufschluss über den Hersteller.

Die Klötze müssen im Normalfall öfter getauscht werden als die Scheiben. Nach der Montage müssen sich die neuen Klötze erst an die Scheibe und den bereits bestehenden Verschleiß anpassen. Als Verschleißgrenze gelten bei Bremsklötzen etwa zwei bis drei Millimeter Belagstärke. Unabhängig davon werden Bremsklötze zum Beispiel bei der HU dann bemängelt, wenn Belag und Trägerplatte nur noch die gleiche Stärke aufweisen.

Bremsschläuche

Die Bremsschläuche sind ein weiteres wichtiges Bauteil der Bremsanlage. Sind sie beschädigt, tritt Bremsflüssigkeit aus, und die Bremswirkung geht verloren. Standardmäßig sind oft Schläuche aus Gummi verbaut. Ihr Nachteil besteht jedoch darin, dass sie mit zunehmendem Verschleiß porös werden und sich bei starker Beanspruchung der Bremse ausdehnen. Das macht sich dann durch nachlassende Bremswirkung bemerkbar. Wer Abhilfe schaffen möchte, greift meist zu Stahlflexleitungen. Diese sind mit Stahlgewebe ummantelt, was vor allem das Ausdehnen der Schläuche verhindert. Stahlflexleitungen halten wesentlich länger und bieten einen zusätzlichen Schutz vor Marderbissen. Sie sind in verschiedenen Farben und Ausführungen zu haben und lassen sich individuell an das eigene Fahrzeug anpassen, wenn es denn nötig sein sollte. Die Vorschriftsmäßigkeit der Schläuche muss durch eine ABE oder ein Teilegutachten (TGA) nachgewiesen werden. Liegt lediglich ein TGA vor, ist eine Abnahme erforderlich.

Wechselseitige Beeinträchtigung von Bremsanlage und anderen Baugruppen

Die neue Bremsanlage ist verbaut, und bei der ersten Testfahrt dringen plötzlich Geräusche an euer Ohr, die vorher nicht zu hören waren? Dann solltet ihr testen, ob sich durch größer dimensionierte Teile andere Abstandsmaße ergeben haben und Teile nun zueinander Kontakt haben.

Nach wie vor gelten folgende Richtwerte für Abstandsmaße:

  • Räder zur Bremse mind. 2 mm
  • Räder zu Spurstangen, Lenker, Stabis,
  • Federbeinen, Federn und Dämpfern mind. 4 mm
  • Räder zu allen anderen Bauteilen mind. 6 mm

Geänderte Rad-/Reifen-Kombinationen vs. Bremsanlage

Die Bremsanlage muss zu den Rädern passen. Wenn ihr ABEs oder Teilegutachten von Sonderrädern durchlest, werdet ihr sehr häufig auf den Passus treffen, dass sich Fahrwerk und/oder Bremsanlage im serienmäßigen Zustand befinden müssen. Natürlich kann es sein, dass die neue Bremsanlage schlichtweg zu groß ausfällt und daher mit den verbauten Rädern kollidiert. Tut sie das nicht, kann es bei einer Kontrolle dennoch zur Beanstandung kommen, weil gegen eine Auflage in der ABE oder im TGA verstoßen wird und die Betriebserlaubnis erlischt.

Leistungssteigerung vs. Bremsanlage

Wer sich mit der Leistungssteigerung seines Fahrzeuges befasst, denkt dabei nicht immer auch an die Anpassung der Bremsanlage an die Mehrleistung. Zwar hat jede serienmäßig verbaute Bremsanlage Reserven und kann auch eine sportlichere Gangart wegstecken. Doch dies hält sich in einem gewissen Rahmen. Wer die Motorleistung signifikant erhöht und dieses Mehr an Leistung regelmäßig abruft, wird seine Bremsanlage sehr schnell zum Schwitzen bringen und ernsthafte Probleme heraufbeschwören. Unterdimensionierte Bremsen können schon mit wenigen starken Bremsvorgängen über ihre Grenzen hinaus beansprucht werden. Hör- und spürbare Vibrationen beim Bremsen sind erste Warnsignale, die keinesfalls ignoriert werden sollten. Im schlimmsten Fall kommt es zum Totalausfall oder die Anlage löst sich in ihre Bestandteile auf, die dann weitere Baugruppen in Mitleidenschaft ziehen. Bei 280 km/h bestimmt eine spannende Angelegenheit, die ihr nie vergessen werdet. Sofern ihr den Abflug überlebt.

Also, schenkt euren Bremsen mal eine Extraportion Aufmerksamkeit, wenn ihr eure Babys wieder auf die Straße holt und spendiert ihnen zumindest neue Bremsflüssigkeit und eine ordentliche Entlüftung des Systems.