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Wie tief darf tief sein?

Interpretationsspielraum sorgt für Unsicherheit

06.11.2017 20:10 Uhr

Text: Harald Schmidtke | Fotos: MAV Verlag

Wie tief darf tief sein? Das ist eine der meistgestellten Fragen an das VDAT-Team. Ein Grund ist, dass die Vorschriften einen gewissen Interpretationsspielraum erlauben. Dies führt hin und wieder dazu, dass sich einige Tuner bei einer von der Polizei ausgesprochenen Beanstandung ungerecht behandelt fühlen.

Letztlich ist bei einem umfangreich modifizierten Fahrzeug nicht allein die absolute Bodenfreiheit dafür maßgebend, ob eine Verkehrsunsicherheit (VU) vorliegt oder nicht. Auch die Freigängigkeit der Rad-Reifen-Kombination kann bei der Beurteilung eine Rolle spielen. Allerdings gibt es kein Gesetz, das die Mindestbodenfreiheit interpretationsfrei definiert. Aber es gibt Erfahrungen und Vorschriften. Darin ist etwas zu lesen von elf Zentimetern und von acht Zentimetern.

Da euch wohl nur die geringste Bodenfreiheit interessieren dürfte, gehen wir an dieser Stelle auf die besagten acht Zentimeter ein. Dieses Maß gilt als die geringste zulässige Bodenfreiheit zum tiefsten festen Bauteil am Fahrzeug. Das kann die Ölwanne, ein Schutzbügel für ein technisches Bauteil am Unterboden oder der Steg zum Ansetzen des Wagenhebers sein.

Die Polizei ist bei Kontrollen an Recht und Gesetz gebunden. Das VdTÜV-Blatt 751 empfiehlt, eine Bodenfreiheit zu den genannten Fahrzeugteilen von mindestens 80 Millimetern einzuhalten. Wird diese Bodenfreiheit nicht eingehalten, ist (mindestens) ein erheblicher technischer Mangel festzustellen. Im Übrigen geht die Polizei bei Kontrollen nicht anders vor, als es Prüfern technischer Überwachungsorganisationen empfohlen wird. Kommt es zu Berührungen zwischen Reifen bzw. Felgen und Teilen der Karosserie, liegt eine Verkehrsunsicherheit vor: Die Weiterfahrt müsste untersagt werden.

Wer sein Fahrzeug wegen einer zu geringen Bodenfreiheit oder einer nicht ausreichenden Freigängigkeit der Rad-Reifen-Kombination vor Hindernissen stark abbremsen und quasi „darüberheben" muss, der wird nicht auf die Nachsicht der Ordnungshüter hoffen können.

Je nach Grad der Tieferlegung können auch Konflikte mit den gesetzlichen Vorgaben für die Mindesthöhe der Frontscheinwerfer, Tagfahrleuchten bzw. des vorderen amtlichen Kennzeichens entstehen. Die Sachlage ist komplex und bezieht sich nicht immer nur auf die real gegebene Bodenfreiheit.

Ein Blick empfiehlt sich zudem auf die Angaben im Gutachten des Zubehörfahrwerks. Darin ist ein konkretes Maß genannt, um welches das Serienfahrzeug zulässig tiefergelegt werden darf. Heißt: Selbst wenn noch ein paar Gewindegänge übrig sind, darf das Auto nicht über das im Gutachten festgelegte Maß tiefer geschraubt werden.
Vielfach wird das Maß von der Radmitte zur Unterkante der Kotflügelmitte in die Dokumente zur Änderungsabnahme eingetragen. Das spart dem Prüfingenieur spätere Diskussionen mit den Ordnungshütern, sollte ein Fahrzeug aus Sicht des Halters zu Unrecht aus dem Verkehr gezogen worden sein.

Warum sprechen wir die Rad-Reifen-Kombination als weiteren von der absoluten Bodenfreiheit unabhängigen Problemfaktor an? Insbesondere für ältere Kompaktfahrzeuge, die seinerzeit mit 15 Zoll als größte Serienbereifung ausgeliefert wurden, gibt es heute zulassungsfähige Kombinationen bis 19 Zoll. Auch wenn sich der Abrollumfang im zulässigen Toleranzbereich zum Serienreifen befindet, so ergibt sich doch ein ganz anderer Querschnitt. Gutachten beinhalten daher entsprechende Auflagen mit zum Teil erheblicher Nacharbeit an den Außen- und Innenradhäusern. Wer diesen Auflagen nicht nachkommt, kann mit seinem Fahrzeug beim Überfahren von Bremsschwellen zum Verkehrshindernis werden und als verkehrsunsicher eingestuft werden. Und das trotz ausreichender Bodenfreiheit, jedoch wegen fehlender Freigängigkeit der Rad-Reifen-Kombination.

Die Bodenfreiheit, das Fahrwerk sowie die Freigängigkeit der Rad-Reifen-Kombination sind immer in einem Zusammenhang zu betrachten. Wird ein Gewindefahrwerk über das zulässige Maß hinaus heruntergedreht, werden Fahrwerksfedern gekürzt oder gedrückt, kann das Fahrverhalten des Autos negativ beeinflusst werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein gutmütig übersteuerndes Fahrzeug auf diese Weise zu einer gefährlichen Heckschleuder und damit zu einer echten Gefahr im Straßenverkehr wird.

Der Reiz, alle Gewindegänge eines Gewindefahrwerks auch tatsächlich auszunutzen, ist irgendwie verständlich. Dennoch solltet ihr daran keinen Gedanken verschwenden!
Vielmehr solltet ihr der Kompetenz der Fahrwerksentwickler vertrauen und die im Gutachten genannten Werte für das Maß der Tieferlegung beachten.