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Das VW-Dorf Prackenbach

Ein bunter Haufen

27.11.2017 14:21 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Jan Bürgermeister


Es brummt und knattert. Wenn die Jungs und Mädels der 2.700-Seelen-Gemeinde Prackenbach in Niederbayern nahe der tschechischen Grenze die Motoren ihrer Oldtimer anschmeißen, fühlt es sich so an, als würde man eine Zeitreise unternehmen. Nicht nur, weil der Bayerische Wald eine absolut idyllische Region ist, sondern auch, weil hier an manchen Fleckchen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint …

Anders als in Großstädten geht es hier etwas gemütlicher zur Sache. Freundschaft und Gemeinschaft haben einen ganz besonderen Stellenwert. Vielleicht ein Grund dafür, dass mehrere Dutzend – sowohl Männer als auch Frauen – das Hobby Volkswagen miteinander teilen und diese Liebe gemeinsam ausleben. „Wir sind kein Klub, aber man kennt sich eben und hat sich durch die Leidenschaft angefreundet", erzählt Christian Stern, der gleich mehrere Fahrzeuge sein Eigen nennt. Seine Projekte lassen sich an einer Hand gar nicht mehr abzählen. Sein absolutes Lieblingsstück ist der Zweier-Jetta von 1987, den er vor mehr als zehn Jahren für lediglich 100 Euro einem Rentner abkaufte. Inzwischen kamen einige Modifikationen wie ein H&R-Gewindefahrwerk, eine GTI-Scheibenbremse sowie eine Golf-2-G60-Mittelkonsole und ein Armaturenbrett vom US-Modell hinzu.

Ohne Bier, ohne uns

Das Schöne auf dem Land: Eigener Boden ist nichts Ungewöhnliches. Also schnell mal zum Kumpel in die Einfahrt – mit 20 Oldtimern wohlgemerkt. Alles kein Problem, wenn ein frisch gekühlter Kasten Bier bereitsteht. Auch das Abspritzen der Autos mit dem Gartenschlauch lässt sich problemlos arrangieren, bevor wir die Fahrer samt Fahrzeugen porträtieren. Kaum etwas ist dafür besser geeignet als die T2-Pritsche von Roland Brem von 1975. Ganz unverblümt gibt er zu: „Ich hab' damals, das war 2012, viel zu viel für diesen Haufen Schrott bezahlt." Deshalb musste im Nachgang so einiges an Arbeit investiert werden, um den Wagen fahrbar zu machen. Roland schweißte Karosserie, Wagenheberaufnahme, Kniestücke etc. selbst. 47 PS leistet der Typ-1-Motor übrigens – genug für damals, zu wenig für heute. Interessant auch die Käfer-Armada mit insgesamt sieben Derivaten. Vom Export-Ovali, Baujahr 1957, bis hin zum „73er" in Porsche-Mintgrün mit 2,4 Litern und 162 PS auf dem Prüfstand haben die Prackenbacher so einige Wirtschaftswunder in ihren Scheunen und Garagen stehen. Christian Axmann gehört zur Käfer-Fahrer-Fraktion und ist schon seit 31 Jahren luftgekühlt unterwegs. Doch auch das weibliche Geschlecht ist vom Klassiker fasziniert: Melanie Baumgartner kaufte ihren „alaskablauen" Käfer von 1974 für nur 1.500 Euro und restaurierte ihn in sechs Jahren mit Unterstützung ihrer Freunde und inklusive Schwangerschaftspause.

Einzigartiger als die Wagen sind nur ihre Besitzer

So gut wie alle von ihnen sind handwerklich begabt. Sie arbeiten als Mechaniker, Straßenbauer, Schreiner oder Schweißfachmann. Dementsprechend gibt es nichts, was die Prackenbacher nicht können. Somit können sich die VW-Freunde im Dorf auch gut mal selbst helfen. Dabei ist der eigene Oldie längst ein treuer Wegbegleiter geworden – wie im Fall von Ludwig Gierl, der einen damals völlig verwahrlosten T3 vor dem Tod bewahrte und nach etwas mehr als einem Jahr Aufbauzeit im Jahr 2010 fertigstellte. Diesen Bus nutzt er inzwischen fast täglich: „Die Hälfte des Jahres ist der Wagen meine zweite Heimat. Wenn ich auf den Baustellen unterwegs bin, dann schlafe und wohne ich im Bus", erklärt der 57-jährige Bauleiter ganz selbstverständlich, während er für das perfekte Foto mit Hawaii-Blumengirlande vor seinen Bulli-Gardinen post. Zudem ist es auf dem Land nicht selten so, dass sich auch der Sohnemann für dasselbe Thema begeistert. Durch seinen Vater inspiriert, wurde auch Tobias Gierl vom Luftgekühlten-Virus erfasst und kaufte sich für 2.200 Euro kurzerhand einen T2 in Indischrot-Weiß, der hilflos zerlegt und verrostet war. Mit Unterstützung von Roland Brem bekam der Bulli dann neue Tieferlegungsachsschenkel samt härteverstellbarem Koni-Fahrwerk und eine selbst gebaute Innenausstattung mit Kühlschrank, Waschbecken und Gasherd. Zudem liegt der Bus jetzt um sechs Zentimeter näher am Asphalt. Neben all den Umbaustorys gibt es aber auch noch die emotionaleren Geschichten, wie die von Tom Klingel, der seinen Export-Ovali aus einer Scheune holte, in der der Wagen einfach abgestellt und sage und schreibe 40 Jahre lang vergessen worden war, bis ihn der Prackenbacher im Jahr 2012 rettete und drei Jahre lang restaurierte: „Ich habe viel Wert auf Originalität gelegt. Und obwohl der Wagen 60 Jahre alt ist, hielten sich die Schweißarbeiten sehr in Grenzen", erinnert sich der Maschinenbaukonstrukteur. Dafür waren die Arbeiten an Roland Sterns Bein umso weitreichender: Der 35-Jährige ließ sich seine Scirocco-Leidenschaft in Form eines Tattoos auf die Wade stechen. Jetzt strahlt der auf Hochglanz polierte Einser mit dem Original um die Wette. „Der Wagen ist einfach nur erhaltenswert. 1976 machte eine 54 Jahre alte Frau extra noch ihren Führerschein, nur um diesen Wagen fahren zu dürfen. Ich kaufte ihn nach ihrem Tod mit nur 42.000 Kilometern", erzählt Roland.

Nicht nur Oldie, auch Goldie

„Eigentlich seht ihr nur einen Bruchteil unserer VW-Jungs. Wir haben auch noch neuere, sportlicher getunte Golf im Repertoire", erzählt Kontaktmann Christian Stern von der Prackenbacher VW-Szene. Die Vielfalt kommt dabei nicht kurz. Franz und Thomas Schötz nennen jeweils ein Audi-Coupé B2 von 1984/1985 ihr Eigen. Einmal mit Vierzylinder- und einmal mit legendärem Fünfzylindermotor. Ur-Quattro, Rallye, Walter Röhrl. Klingelt's? Genau. Deshalb fand auch die echte Signatur auf dem Tankdeckel Platz. Allein schon wegen der geografischen Verhältnisse ein Muss, denn der „Lange", wie sein Spitzname in den Medien lautete, wohnt gerade mal 15 Kilometer von Prackenbach entfernt – in Sankt Englmar. Ebenfalls für Abwechslung sorgte Harald Axmann, der sich vor rund vier Jahren einen Karmann Ghia kaufte und neu aufbaute. Andere wiederum, beispielsweise Manfred Penzkofer und sein Caddy, sind von Tag eins an unzertrennlich. Der Fahrzeuglackierer legte sich seinen VW im Jahr 1989 zu und bezahlte damals 11.600 Deutsche Mark. Noch heute ist der Pick-up in seinem Besitz.

Ein großes Stück deutsches Kulturgut

Natürlich möchte keiner der VW-Fans seinen Wagen jemals wieder hergeben. Schließlich haben sie alle jede Menge Zeit, Geld und Schweiß in ihre Projekte investiert, um sie wieder fahrbar zu machen. Und mal ganz ehrlich: Wo gibt es das denn noch, dass – gemessen an der Einwohnerzahl – eine Vielzahl Gleichgesinnter aus einem kleinen Dorf kommt und jede Menge Geschichte bewegt? Außer in Oldtimerklubs so gut wie nirgendwo. Gerade in Zeiten des digitalen Zeitalters und des elektromobilen Fortschritts ist das eine absolute Wohltat. „Ehrliche Technik, die verbindet, wertvoller wird und sogar noch selbst repariert werden kann" – bessere Worte hätte Käfer-Fahrer Franz Koch für das Ende dieser Reportage nicht finden können. Wir sagen: „Danke, Prackenbach!