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Stilbrüche im Zweitakt

Die Wilden des Ostblocks

22.11.2017 11:58 Uhr

Text und Fotos: Rene „Ragnaroek“ Bauer

Wir schreiben das Jahr 1989 – die Mauer ist gefallen, die Grenzen sind offen. Aus dem tiefen Osten strömen tausende Trabants und Wartburge gen Westen und verpesten mit ihren Zweitaktabgasen die saubere, westliche Luft. Dort angekommen, sehen die meisten Ex-DDR Bürger erst einmal das volle Ausmaß der westeuropäischen Automobilindustrie und somit, dass es eben auch andere Designmöglichkeiten gibt außer fahrende Schuhkartons und Schrankwände …

Viele wollen schnellstmöglich diese Pappautos und untermotorisierten Zweitakter loswerden. Oftmals für eine symbolische D-Mark! Je schneller man so einen Trabi loswird, umso besser. Die westdeutschen Autohändler freuen sich, denn alsbald finden ausgehungerte DDR-Bürger den Weg in die überfüllten Autobasare der alten Republik.
Und genau jene Leute, die damals nicht schnell genug sein konnten, bereuen es heute bitterlich. Denn die ehemals verhöhnten Ostfahrzeuge stehen heute hoch im Kurs. Wenn man sich Zulassungszahlen in Deutschland anschaut, so sind die eben diese Fahrzeuge wieder schwer im Rennen und ständig am Wachsen. Zahlreiche Autotreffen und Events für die Freunde des Ostblocks sprechen ebenfalls für sich.

Jung und Wild

Es gibt aber neben den ganzen Originalverfechtern noch eine ganz andere Strömung – die „jungen Wilden" mit ihren eigenwilligen Mutationen umgebauter Ostblockfahrzeuge. Diese kreativen Schrauber sind oftmals bei den Haltern originaler Fahrzeuge als Substanzvernichter verschrien und werden leider auf vielen Ostblocktreffen ausgegrenzt, was ihnen aber relativ egal ist – sie organisieren einfach ihre eigenen Treffen! Auch ich bin dem „Charme" dieser Gefährte erlegen und habe mir einen Lada gekauft – und da ich selber Fotograf bin, möchte ich ganz einfach die „Ostblockstyler" etwas dokumentieren und den Jungs Tribut zollen...

Woher kommt der Kult um diese Autos?

Was begeistert gerade so viele junge Menschen an Trabi, Wartburg, Barkas und Co.? Darauf gibt es, denke ich, nur eine Antwort: Kult, Einfachheit und Extravaganz. Auf- und umgebaute 3er Golfs, getönte Polo- und Astrageschwader oder selbst „sourkraut´sche Käfer" hat ein jeder schon viel zuviel gesehen, aber eine „Pappe" mit BBS oder Ronal Turbofelgen, einem fast „45° Sturz" mit Überrollkäfig, Sportsitzen und knappen 75PS...so etwas sieht man eben nicht alle Tage. Und das macht das Besondere aus, das Nichtalltägliche. Ein anderer Faktor sind die relativ einfach aufgebauten Vergasermotoren, die man noch auf klassische Art und Weise tunen kann. Im Vergleich zu moderneren Autos halten sich auch die Preise für Ersatzteilkosten arg in Grenzen – man kann viel selber machen. Vereinfacht gesagt, braucht man bloss einen Hammer und einen 10er und 13er Schlüssel, um solch ein Auto zu reparieren. Standard reicht den „jungen Wilden" nicht, nein, sie wollen ein Zeichen setzen und ihren Autos ihre Persoenlichkeit aufdrücken. Und so werden Federn gekuerzt, Dreieckslenker umgeschweißt, Köpfe geplant, Kanäle poliert, wildeste Abgaskrümmerdesigns erfunden, Radkästen erweitert und und und...die Liste ließe sich noch fast unendlich weiter fortsetzen. Schon bei der Felgenwahl fängt es an – breit müssen sie sein und vor allem glänzen! Da kann es schon einmal vorkommen, dass Marken wie BBS, Maserati oder gar Mercedesfelgen verbaut werden. Die Fantasie kennt da keine Grenzen. Hauptsache, das Endresultat ist einzigartig, sehr tief, laut und folgt einer bestimmten Linie.

Schmo ist bekannt wie ein bunter Hund. Das erste Mal traf ich 2012 auf ihn und seinen Barkas. Und genauso wie allen anderen fiel auch mir die Kinnlade herunter – so etwas hatte ich noch nicht gesehen. Das Führerhaus wurde abgeschliffen und einfach nur mit Klarlack übersprüht, um Flugrost zu züchten, die Ladefläche hatte er komplett abgenommen und umgebaut, sie sollte tiefer und breiter werden. Bei Autotreffen dient sie ihm als Bett, und es kann immermal vorkommen, dass da ein Trabi hintendrauf steht. Der Barkas war der Bulli des Ostens, ein 2-Takt Lastesel, der mit seinem 3-Zylinder 43PS Motor problemlos eine Tonne hinter sich herschleppte und den es in verschiedensten Aufbauten gab.Das interessanteste ist jedoch Schmo´s Fahrwerk: Der Barkas hat Drehstäbe, also ist das grundsätzliche Tieferlegen nicht das Problem, aber wenn man so tief wie Schmo fährt, dann muss man einiges am Rahmen und Karosserie ändern, Kotflügel umschweißen und Radläufe „neu erfinden". Das ist aber zu Anfang gar nicht das erste, was auffällt – vielmehr stechen die Chevy Felgen ins Auge. Hinten eine 10x16 mit einer 225/40 und vorne eine 8x16 mit einer 195/45. Mehr muss ich nicht sagen...einfach nur brachial auf diesem Wagen. Und wenn man die Türen aufmacht, sieht man, wo die ganze Handarbeit weitergeht: umgeschweißtes Armaturenbrett auf „alt", ein riesiges Soundsystem, mit alten Jutesäcken bezogene Sitze, geänderte Lenksäule mit einem Retro Lenkrad aus einem Wartburg 311, und einen selbstgefrästen Schlagring als Schaltknauf. Also alles in Allem ein krasses Fahrzeug in makelloser Handarbeit zusammengebaut.

From Russia with love

Was könnte als Russe wohl näher liegen, als einen Lada zu fahren? Wem würde aber einfallen, einen Lada 2102 komplett auseinanderzureißen und für den Preis eines unteren Mittelklassewagens rundum zu renovieren und zu modifizieren. Walera hat das gemacht und wenn ein Auto etwas zu Essen wäre, dann wäre dieser Kombi ein Trüffel-Kaviar-Canapé mit Champagner. Dieses Jahr hat er ihn zum ersten Mal in die Öffentlichkeit gefahren. Oder besser, geschleift. Es gibt nämlich an diesem Russen eine Besonderheit – viel heiße Luft! Und zwar im Fahrwerk. Zum Bierkisten einladen wird er angehoben, da wir alle ja nicht mehr die Jüngsten sind, zum Fahren wird er abgelassen und zum Parken gleich ganz abgelegt. Dann verschwinden die hochglanzverdichteten Mercedesfelgen ganz schön weit im Radkasten. Und so, wie das Auto runterfährt, so folgen meist auch die Blicke aller umstehenden Leute. Es wird gegafft, denn einen Lada Kombi mit Airride hat hier noch keiner gesehen. In einem zarten Mintgrün – richtig geil!

Nur der Blick auf die Innereien des Luftfahrwerkes bleibt meiner Kamera verwehrt, das wurde vom KGB als „streng geheim" eingestuft. Keine Chance. Die Motorhaube macht Walera aber gern auf, denn da blitzt mich ein schwarz-roter Motor an, ein ganz schöner Kontrast zum Rest des Wagens. Der originale 1200er ist das nicht mehr, es wurde in typischer „Ladaholics-Manier" aufgestockt. Auf einen 1700er mit single point Einspritzung. Der fährt dieses Jahr als Basis so, aber die Hauptzentrale der „Ladaholics", einer wilden Truppe Ladasüchtiger, hat schon die Umbaupläne für 2017 in der Hand. Alles an diesem Auto ist Handarbeit, hier sieht man wie präzise diese „jungen Wilden" arbeiten.

Das grosse Knattern aus Bitterfeld

Diesen Typen habe ich vor vier Jahren das erste Mal in Magdeburg getroffen, ich tauchte völlig unbedarft in diese Szene ein und ich kann mich noch wie heute erinnern, dass mir von den ganzen 2-Taktabgasen ganz schwindlig wurde. „Mütze" kam mit seiner kleinen Donnerbüchse über den Platz gekratzt, schlug Funken und machte mich halb taub. Mit schwarzen Mechanikerfingern reichte er mir die Hand zum Gruß und zeigte mir sein Auto. Wir reden vom Sinnbild des Ostens, von der Legende aus Bakelit – dem Trabant 601. U2 machten ihn bekannt, Filme wie „Go Trabi Go" ebenso. Zur Wiedervereinigung hoch gefeiert und sogar bis in die USA verbreitet. Das sind jedoch die originalen Modelle.

Mütze seiner ist anders. Sein Trabant, der auch noch vom geschichtsträchtigen Baujahr 1989 ist, wurde kurzerhand erst einmal um 160mm tiefergelegt. Bitte auf der Zunge zergehen lassen – 16cm! Dazu wird vorne meist die Blattfeder umgeformt, bei den Spiralfedern hinten ist es ja kein Problem. Es gibt heutzutage haufenweise Werkstätten, die sich auf solche Dinge spezialisiert haben. Wenn man jedoch einen Trabant tieferlegt, gerade um solche unglaublichen Mengen, dann muss durch die Struktur der Dreieckslenker unbedingt der Sturz korrigiert werden, da er sonst einfach zu krass und unfahrbar ist – oder man innerhalb kürzester Zeit einfach zu viele Reifen
verbraucht.

Mütze hat seinen Trabant komplett ausgeräumt. Es gibt nur noch einen AVUS Sportsitz, einen modifizierten Wiechers Käfig und viel Bodenblech. Nichts weiter. Das originale Lenkrad wurde kurzerhand herausgehauen und durch ein Sportlenkrad ersetzt. Der knatternde Trabi rollt auf Minilite Speedline in einer 6Jx13, auf denen sehen die 175/50 richtig gut und fett aus. Motormäßig hat Mütze bis auf einen Edelstahlvorschalldämpfer nichts gemacht, viele verbauen ja Wartburgmotoren oder ähnliches, in dem Sinne ist er nun wieder ein „Originalo". Aber trotzdem kann man sich ruhig bei den Jungs von Goitzsche Coast Customs mal in die Werkstatt stellen, sich ein frisches Veltins aufmachen und verträumt einen tiefergelegten Trabi anstieren. Ich spreche aus Erfahrung!
Geschickte Jungs Wenn man sich anhand der obigen Beispiele einmal die komplette „wilde Szene" anschaut, wird man feststellen, dass hier ohne Ende Talente schlummern. Kein Fahrzeug gleicht dem nächsten und „plug ´n´ play" gibt es hier nicht. Schrauber müssen sich einen Kopf machen, ständig irgendwelche Lösungen für Probleme finden. Gefachsimpelt wird meist bei unzähligen Bieren in der eigenen Werkstatt oder auf den vielen Treffen deutschlandweit. Es kennt sich ja sowieso fast jeder, die Kollektive halten untereinander Kontakt – was es recht einfach macht, spezielle Teile oder Ratschläge zu finden. Die meisten von ihnen kommen aus einem handwerklichen Hintergrund, aber das genaue Wissen über Motoren und Fahrzeugdynamik haben sich die meisten im „Selbststudium" angeeignet. Da kann ich nur eines sagen: „Hut ab!"