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Abgas-Messverfahren WLTP und RDE (2018)

Wird jetzt alles besser?

14.06.2018 17:36 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: TÜV Süd, ADAC e.V., UNECE.org, MAV-Archiv

Bereits seit Ende 2017 gelten für Typzulassungen die neuen Messverfahren WLTP und RDE. Was es damit auf sich hat, wie realistisch die Werte sind und worauf wir uns einstellen müssen, erklären wir im Detail.

Für Autofahrer ist es fast schon normal: Fahrzeughersteller geben offensichtlich niedrige Verbrauchswerte ihrer Fahrzeuge an und loben dann deren vermeintliche Sparsamkeit. Im Straßenverkehr verbraucht das Auto gut und gerne 30 Prozent mehr – aber niemals weniger. So gibt BMW zum Beispiel beim M235i einen kombinierten Verbrauch von 8,1 Litern an (Stand: März 2016) und wiegt sich mit folgendem Satz in Sicherheit: „CO2-Emissionen und Effizienzklasse gelten in Abhängigkeit von der gewählten Räderkategorie und können auch durch die Wahl der Sonderausstattung Steptronic-Getriebe beeinflusst werden." In der Verkaufsbroschüre weiter hinten wird mit eben jenem verbauten Automatikgetriebe sogar von noch weniger gesprochen: 7,6 Litern. Bei einem Dreiliter-Sechszylinder-Turbo mit rund 330 PS wäre das ein echtes Sparwunder. Dabei ist es nicht überraschend, dass wir bereits seit einem Jahr ein genau solches Exemplar fahren und wirklich niemals – auch bei gemäßigter Fahrweise und der Benutzung des achten Gangs – unter zehn Litern Durchschnittsverbrauch gekommen sind, seltsam, oder?! Nö! Absolut keine Seltenheit, sondern gängige Methode der Automobilindustrie. Doch wie passt das zusammen? Für einen Autofahrer ist das ein erheblicher finanzieller Mehraufwand. Das kann bei Vielfahrern nicht nur richtig teuer werden, sondern auch sehr ärgerlich sein, wenn man sich durch Märchenverbräuche in schön gestalteten Verkaufsbroschüren hat einen Bären aufbinden lassen. Übrigens erhöhen sich mit dem Mehrverbrauch auch die Emissionen.

War der NEFZ-Test schlecht?

Das kann man so nicht sagen. Denn, was viele nicht wissen: Der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), welcher seit 1996 Pflicht für die Neuzulassungen von Fahrzeugen ist, sollte ursprünglich keinesfalls dazu dienen, den Realverbrauch im Alltag abzubilden. Eigentlicher Sinn und Zweck des Ganzen war die Vergleichsmöglichkeit von unterschiedlichen Autos für den Verbraucher. Das ist auch der Grund, warum eigentlich niemals im normalen Straßenverkehr und eher unter realitätsfernen Laborbedingungen getestet wurde. Um die damals vorgegebenen Grenzwerte auf dem Prüfstand einzuhalten, wurden vier Kilometer Fahrt innerorts mit Stop-and-go-Verkehr und anschließend sieben Kilometer außerorts simuliert. Dabei war quasi jedes Detail vorgegeben: Fahrstil, Reifen, Motoröl und so weiter. Gemunkelt wurde sogar, dass die Industrie besonders leichtgängige Öle einsetzte, um den Reibungswiderstand des Motors und in Folge den Verbrauch noch weiter zu senken. Und spätestens seit der Abgasaffäre von Volkswagen wissen wir, dass es noch weitere Tricks wie Schummel-Software gab. Und das, obwohl schon der vorgeschriebene Prüfablauf nicht wirklich realistisch war: Durchschnittstempo 34 km/h und Höchstgeschwindigkeit 120 km/h (für zehn Sekunden) mit ausgeschalteten Verbrauchern wie Radio, Klimaanlage oder Sitzheizung. Der Internationale Forscherbund ICCT sprach 2016 sogar von einer Verbrauchsüberschreitung im Schnitt von rund 42 Prozent sowie einer immensen Stickoxid-Mehrbelastung bei Dieselautos.

WLTP: Was ist anders, was wird anders?

Der WLTP-Testzyklus steht für „World Harmonized Light Vehicle Test Procedure" und soll bis spätestens Ende 2018 dafür sorgen, dass die mitunter sehr krassen Abweichungen kleiner werden – so wünschen es sich zumindest die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) sowie die Europäische Union. Seit dem 1. September 2017 gibt es nun EU-weit gleich zwei neue Abgastests: den RDE und den WLTP. Letzterer dauert mit einer halben Stunde immerhin 50 Prozent länger, als es bislang beim NEFZ der Fall war. Zudem reduziert sich die Standzeit des zu prüfenden Wagens von knapp 24 auf 13 Prozent. Dafür erhöht sich die zurückgelegte Wegstrecke von elf auf 23 Kilometer sowie das Maximaltempo von 120 auf 131 km/h. Insgesamt steigt die Durchschnittsgeschwindigkeit damit auf 46 km/h statt bisher 34 km/h, was dazu führt, dass auch Autobahnfahrten besser abgebildet werden können. Außerdem sollen die Schaltpunkte nun frei wählbar sein. Dem Testpiloten ist es jetzt überlassen, wann er schalten möchte – so darf in Zukunft schon wesentlich früher als bisher auf höhere Gänge zurückgegriffen werden, auch wenn die Ära Handschalter über kurz oder lang nahezu beendet sein wird. Eine deutliche Änderung ergibt sich auch für Plug-in-Hybride: Diese können erstmals extern elektrisch aufgeladen werden und fahren den Test mehrmals. Einmal mit vollem Akku so lange bewegen, bis die Batterie komplett leer ist. Anschließend erfolgt noch eine Messung mit leerer Batterie, bei der die Antriebsenergie ausschließlich vom Verbrennungsmotor und von der Bremsenergierückgewinnung stammt. Aus diesen beiden Messungen wird der auszuweisende CO2-Mittelwert berechnet. Ergänzend dazu sind die Prüfvorgaben strenger als bisher und es wird nicht nur die Basisvariante des jeweiligen Modells getestet, da bekanntermaßen Sonderausstattungen Einfluss auf die Messwerte haben. Sitz-, Lenkrad- und Scheibenheizung werden bei diesem Test aktiviert, die Klimaanlage als größter Energieverbraucher bleibt (noch) aus. Warum? Weil sich die Organisationen bisweilen noch nicht darauf einigen konnten, wie genau sie den Test beeinflussen soll. Klingt banal, ist aber so. Natürlich sorgen diese Tests mit Sonderausstattungen für einen erheblichen Mehraufwand. Ein Audi A3 mit leistungsstarkem Motor, großen Rädern, breiten Reifen sowie einer umfangreichen Ausstattung verbraucht eben mehr als ein schwächeres Serienmodell. Somit wird die Ermittlung ihres Produktportfolios sehr aufwendig werden, da für jedes Auto und jede Zusatzoption andere Verbräuche zutreffen werden – die großen Automobilkonzerne wie BMW, Mercedes-Benz oder VW rechnen dabei mit mehreren Hunderttausend Datensätzen für die unterschiedlichen Konfigurationen.

Was ist RDE?

Der RDE-Test (Real Driving Emissions) ist als Realtest auf öffentlichen Straßen zu verstehen und gilt als absolute Neuerung im Abgasmessverfahren. Mit diesem Verfahren möchte man sicherstellen, dass die Grenzwerte für Stickoxide und die Partikelanzahl, sprich Emissionswerte, eingehalten werden und möglichst wahrheitsgemäß sind. Für eine RDE-Runde im kombinierten Verkehr (Stadt, Land, Autobahn) wird das Fahrzeug mit einem portablen Messsystem ausgerüstet (PEMS) und soll damit eine 90 bis 120 Minuten lange Messrunde zweimal fahren. Dabei muss der Kraftstoffverbrauch mindestens 20 Prozent über dem Ergebnis des WLTP-Tests liegen und die Maximalgeschwindigkeit von 145 km/h darf nicht überschritten werden. Ansonsten soll der Testfahrer freie Hand haben und keinem festen Testzyklus folgen müssen. Die Teststrecke ist dabei genauso egal wie die Stärke der Beschleunigung, die Höhe der Außentemperatur sowie die Dichte des Verkehrs. Wie sich dies verständlich für den Autofahrer oder Kaufinteressenten später abbilden lässt, bleibt allerdings noch fraglich. So könnte der Verbrauchswert eines Testzyklus zu einem anderen Zeitpunkt komplett anders aussehen, weil sich die Bedingungen geändert haben ...

Welche Folgen entstehen?

Für Autos, die bereits zugelassen worden sind, ändert sich gar nichts. Wer sich allerdings ein neues Auto kaufen möchte, sollte das unter Umständen möglichst schnell tun. Denn ab Herbst dieses Jahres könnte dank der geänderten Testverfahren für Autos mit höheren Verbrauchs- und Emissionswerten zu rechnen sein. Dadurch wiederum könnte dann auch die Kfz-Steuer steigen. Bisher schrieb der Gesetzgeber einen Ausstoß-Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer vor – das galt bisher nur für das Labor. Jetzt aber gibt es durch den RDE-Test auch einen Grenzwert für die Straße, der allerdings deutlich höher liegt: Zunächst ist eine Grenze auf 168 Milligramm festgelegt worden, ab 2020 sollen es sogar nur noch 120 Milligramm sein. Für sämtliche Fahrzeug-Neuzulassungen sind der neue Labortest von September 2018 und der neue Straßentest von September 2019 an Pflicht. Ob die Tests und Grenzwerte eingehalten werden, prüfen dann unterschiedliche, von den deutschen Autoherstellern ausgewählte Institute, welche vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) zugelassen wurden. Das KBA kündigt zudem an, ein eigenes Testlabor bauen zu wollen, mit dem dann auch unangemeldete Kontrollen an „Fahrzeugen direkt aus der Produktion oder Fahrzeuge von Leihwagenfirmen" durchgeführt werden.

Gibt es einen Haken?

Auch wenn die neuen Messwerte nun realistischer werden und näher am Alltag sind, kann aufgrund von schier zahllosen Sonderregelungen und Ausnahmen nicht wirklich von einer weltweit vergleichbaren Regelung die Rede sein. Viele Länder setzen auch weiterhin auf andere Verfahren zur Verbrauchsermittlung. Und selbst in Europa gibt es Abweichungen, weil die Umgebungstemperaturen teilweise ganz andere sind. Dazu hat die Industrie Übergangsfristen und -lösungen ausgehandelt. Erst so wurde überhaupt möglich, dass die RDE-Ergebnisse beim Stickoxid über denen der WLTP-Messung liegen dürfen. Auch bei den CO2-Zielen der EU sowie möglichen Strafzahlungen gilt weiterhin der (aus dem WLTP) errechnete NEFZ weiter ... Vielleicht wäre es ja besser, wenn sich in Zukunft das Umweltbundesamt und nicht mehr das Kraftfahrtbundesamt um diese Angelegenheiten kümmert – Stichwort: Lobbyismus.