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Service: Tuning in anderen Ländern

Gibt es das "Schrauber-Paradies"?

06.04.2018 18:00 Uhr

Text: Harald Schmidtke | Fotos: MAV-Archiv


Mit der Suche nach dem Paradies ist das so eine Sache: Wirklich gefunden hat's bisher wohl niemand. So verhält es sich auch mit dem Tuning. Ein Land, in dem du einfach alles darfst, ohne Konsequenzen zu fürchten, gibt es nicht.


Auch die USA, landläufig als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bekannt, sind kein Tuning-ÜParadies. Richtig: Augenscheinlich dürfen Schrauber viel mehr als in Deutschland. Sie haben aber für ihr „Tun(en)" die volle rechtliche Verantwortung, also alle denkbaren Konsequenzen zu tragen. Wenn ein Richter in den Vereinigten Staaten feststellt, dass ein Personenschaden mit einem nicht umgerüsteten Fahrzeug „milder" ausgefallen wäre, drohen drakonische Strafen. Auch vor behördlicher Willkür ist ein Tuner in Amerika nicht sicher. Regelungen für Tuning wie bei uns gibt es hingegen kaum, Gutachten gar nicht. Die Deutungshoheit in Bezug auf die Verkehrssicherheit liegt bei der Polizei oder vor Gericht.
Schauen wir auf Europa. Wie regeln unsere direkten Nachbarn das Tuning? Haben es die privaten Tuner dort besser als wir hier in Deutschland? Nein, nicht wirklich! Vielfach sind eure Tuner-Kollegen in Europa schlechter dran als hierzulande. Der Grund dafür ist eine nicht vorhandene einheitliche (europäisch harmonisierte) Regelungsstruktur für Änderungen an in Verkehr befindlichen Fahrzeugen.

Viele Tuning-Teile sind sogenannte nicht harmonisierte Teile. Darunter fallen beispielsweise Sonderräder, Fahrwerke und Spoiler. Für diese Teile gibt es keine zwischen den EU-Mitgliedsstaaten abgestimmten Prüfgrundlagen und somit auch keine einheitlichen Zulassungsbedingungen. Für einige Zubehörteile konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf Prüfgrundlagen einigen. Das sind die „harmonisierten Teile". Dazu gehören unter anderem Sportauspuffanlagen (behördlich Austausch-Schalldämpfer genannt) sowie Identräder. Darüber hinaus gibt es harmonisierte Teile, die einer verschärften Regelung, der Bauartgenehmigungspflicht, unterliegen. Derartige Teile müssen entsprechend der Vorschrift genehmigt sein. Sonst ist bereits der Verkauf unzulässig. Für nicht harmonisierte Teile – und das sind die meisten – darf der jeweilige EU-Mitgliedsstaat seine nationalen Regeln anwenden. Jeder kocht also sein eigenes Süppchen.

Kaufen: ja, nutzen: nein! Verrückte Situation

Der Teileverkauf funktioniert zwischen allen EU-Ländern prima. Verstöße gegen den freien grenzüberschreitenden Warenverkehr sind nicht bekannt, aber die Inbetriebnahme beziehungsweise die Nutzung eines Tuning-Teils ist durch nationales Recht häufig massiv eingeschränkt oder sogar verboten. In Italien und Frankreich muss der Fahrzeughersteller oder der autorisierte Importeur seine Zustimmung für die Verwendung von Aftermarket-Teilen geben – der wird einen Teufel tun! Warum auch, genießt er doch einen gesetzlich verordneten Wettbewerbsvorteil gegenüber dem freien Zubehörhandel. Andere Mitgliedsstaaten dulden die Verwendung von Tuning-Teilen, wenn diese ein Teilegutachten oder eine ABE besitzen. Eine Rechtsgrundlage, auf die sich der Käufer verlassen kann, gibt es aber nicht. Nur Österreich und die Schweiz haben Regelungen für die Zulassung und Nutzung auch von nicht harmonisierten Tuning-Teilen.

Viele eurer europäischen Tuner-Kollegen sind also mit unzulässigen Autos unterwegs. Sie tragen ein hohes Risiko, weil sie entweder gegen nationale Regelungen verstoßen oder es keine spezifischen Regeln gibt. Für harmonisierte Tuning-Teile ist auch die Nutzung europäisch geregelt. Da gibt es keinerlei Probleme. Aber es sind eben derzeit nur sehr wenige Teile, die harmonisiert sind, und es sieht nicht danach aus, als wolle sich die EU zeitnah mit der Harmonisierung weiterer Teile befassen. Der Ordnung halber sei hier die mächtige Lobby der Fahrzeughersteller erwähnt. Uneinheitliche Strukturen für Aftermarket-Tuning ist für die Verantwortlichen von Vorteil! Denn bekanntermaßen hat jeder Fahrzeughersteller sein eigenes Zubehör im Angebot.

Deutsche Regelungen geben Sicherheit

Das deutsche Reglement für Tuning-Umrüstungen gibt legalen Freiraum für automobile Kreativität und Individualität. Für die meisten reicht dieser Freiraum aus, für einige wenige nicht. In einem Punkt seid ihr euren europäischen Nachbarn jedoch weit voraus! Behördlicher Willkür kann mit Gutachten und Änderungsabnahme begegnet werden. Und ein vollumfänglicher Versicherungsschutz ist bei einem regelkonform getunten Auto gesetzt. Das ist ein Luxus, um den euch viele Tuner im Ausland beneiden. Ob Deutschland dadurch zum Tuner-Paradies wird, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mit Blick auf die Einschränkungen in anderen Ländern sollten wir unsere Situation zu schätzen wissen und nicht unzufrieden sein.