Fahrbericht: Carlsson CC 63 S
Hör mal, wer da kommt!
28.11.2017 11:48 Uhr
Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Jan Bürgermeister
Noch vor einigen Jahren war Carlsson eine der ersten Adressen in Sachen Luxusveredelung für Mercedes-Modelle. Doch dann kam mit der Insolvenz der tiefe Fall. Jetzt möchten die Saarländer mit neuen Kreationen wie Diospyros, CGE 45 und CC 63 S zurück in die Bundesliga. Letzteren sind wir gefahren ...
Nachdem es zu Differenzen zwischen den damaligen Carlsson-Gesellschaftern gekommen war, brachen die Umsätze des Unternehmens um die Hälfte ein und die Hongkonger Gruppe Zhongsheng, die zu diesem Zeitpunkt 70 Prozent der Anteile an Carlsson hielt, stieg aus. Damit war das Ende des Mercedes-Veredlers mit damaligem Sitz auf Gut Wiesenhof im saarländischen Merzig besiegelt. Anschließend wurde es ziemlich still um das springende Pferd, doch ganz vorbei war es zum Glück nicht: Sambo Motors, ein koreanischer Automobilzulieferer, übernahm Carlsson und rettete das 1989 von den Brüdern Rolf und Andreas Hartge gegründete Unternehmen. Inzwischen gibt es wieder einige neue Modelle aus Saarlouis, darunter zum Beispiel den Carlsson CC 63 S mit sage und schreibe 625 PS! Wir haben uns gefragt: Ist das nur ein für viel Geld aufgemotzter AMG C 63 S oder gelingt dem Traditionsunternehmen mit diesem neuen Streich das Comeback?
Genug der Unternehmensgeschichte, widmen wir uns lieber mal den wirklich wichtigen Dingen: dem CC 63 S. Als Basis dient übrigens ein AMG C 63 S mit 510 PS – auch schon nicht schlecht! Carlsson ist es mithilfe einer Softwareoptimierung gelungen, weitere 115 PS und über 125 Newtonmeter mehr aus dem V8-Bi-Turbo-Triebwerk herauszuholen. Damit spurtet der Muskelprotz in nur 3,8 Sekunden auf Tempo 100. Auch in unserem Test konnte der Wagen den vom Hersteller angegebenen Wert bestätigen. Die Höchstgeschwindigkeit von über 300 Stundenkilometer konnten wir bei unserem kurzen Intermezzo allerdings nicht erfahren. Trotzdem sind wir in Sachen Performance auf jeden Fall beeindruckt. Der CC 63 S hat nämlich mehr PS als ein AMG GT S und beschleunigt damit genauso schnell von null auf Tempo 100, bietet dabei aber Platz für mindestens vier Personen. Respekt! Die Leistung überzeugt, auch wenn diese „einfache Methode" der Leistungssteigerung bei Carlsson mit etwas über 5.000 Euro zu Buche schlägt.
In die Fahrgastzelle scheint hingegen die komplette Liebe zur Veredelung eingeflossen zu sein. Das Interieur präsentiert sich äußerst detailreich – sogar auf den Tür-Pins versteckt sich das Carlsson-Pferd. Schön! Darüber hinaus erinnert das blaue Karomuster an die Polsterung legendärer Modelle à la Flügeltürer-SL oder Uhlenhaut-Coupé. Das Interieur, welches in der eigenen Sattlerei veredelt wird, ist weitestgehend gut verarbeitet und frei von Mängeln – keine Falten, alles sitzt. Auch die Nähte scheinen wie mit dem Lineal gezogen. Schön, aber bei 6.900 Scheinen, die hierfür über die Ladentheke wandern, hätten wir auch nichts anderes akzeptiert. Dafür gibt es übrigens auch noch schwarzes und blaues Nappaleder an Armaturenbrett und Lenkrad. Gefällt nicht? Kein Thema. Denn grundsätzlich gibt es so gut wie nichts, was Carlsson nicht nach Kundenwunsch verarbeiten würde. Dennoch gibt's bei all dem Lob auch ein bisschen Tadel: Denn das für 1.850 Euro verbaute Carbonpaket fürs Interieur ist leider nicht sonderlich gut verarbeitet. Im Haptiktest knarzte es schon bei leichtem Daumendruck und machte keinen der Klasse angemessenen Eindruck. Das gibt Abzüge in der B-Note.
Auch wenn es hier eigentlich um den CC 63 S und das damit verbundene Fahrgefühl geht, sind es doch auch das Bauchgefühl und das ganze „Drumherum", die entscheiden, ob man sich guten Mutes zum Kauf eines solchen Wagens entschließt, oder? Deshalb lassen wir unseren Eindruck auch in die Gesamtwertung einfließen: Beim Betreten des Carlsson-Verkaufsraums waren wir ein wenig überrascht. Allerdings nicht positiv. Denn die Atmosphäre des ehemaligen Autohauses war kühl und bei Weitem nicht so elegant, wie man es von einem luxuriösen Tuner eigentlich erwarten würde. Dabei man muss man Carlsson aber zugutehalten, dass es noch nicht allzu lange „Im Rayon 1" in Saarlouis ansässig ist. Und ob der Kunde, der sich, so wie wir, für ein 200.000-Euro-Fahrzeug von Carlsson interessiert, mit der „Gut-und-günstig"-Dosenmilch zufriedengeben möchte, können wir nur erahnen. Klingt vielleicht zickig, ja. Aber wer sich im Luxus-Tuning-Segment erneut etablieren möchte, muss einiges tun. In diesem Punkt herrscht sicherlich Handlungsbedarf.
Fazit: Ob es Carlsson gelingt, wieder ordentlich Fuß zu fassen, wird sich zeigen. Dennoch würden wir behaupten, dass dem Veredler mit dem von uns gefahrenen CC 63 S ein kleines Comeback gelungen ist. Die Saarlouiser verleihen dem C-AMG mehr Leistung, als ein AMG GT S hat, außerdem ein carbonisiertes Aussehen nebst extravagantem Innenraumkonzept, also Individualismus pur. Dennoch gibt es Verbesserungspotenzial und ein paar Schönheitsmakel wie die billig wirkenden, blau lackierten Bremssättel oder das knarzende Carbon im Interieur. Hinzu kommen mit Sicherheit auch der teils etwas unprofessionelle Auftritt und die Gewissheit, (zu) viel für den Namen zahlen zu müssen. Nichtsdestotrotz sprechen wir hier von einer beeindruckenden Sportlimousine für jenen Käuferkreis, der einfach etwas anderes haben und davon am besten immer noch mehr will. |