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Corvette Stingray (2017)

Ein waschechter Amerikaner

20.08.2018 10:09 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Jan Bürgermeister


Machen wir uns nichts vor: In einen brutal aufgeladenen Vierzylinder kann man sich doch nicht verlieben, oder?! Ein Motor soll ein Motor bleiben und kein Motörchen – deshalb haben wir etwas Größeres angefragt und prompt bekommen: die durchtrainierte Corvette Stingray mit frei saugendem 6,2-Liter-V8!

In einer dunklen Regennacht versuchen die zwei Dealer Tony und Lonigan, für ihre Ladung Drogen Geld einzuhandeln. Das Geschäft läuft schief. Mit zwei toten verdeckten Ermittlern auf dem Gewissen, dem gesamten Polizeiaufgebot am Hals, Taschen gefüllt mit einer Million Dollar aus dem geplatzten Deal und der gesamten Ladung Drogen bietet eine bei einem Autohändler abgestellte rote Corvette Stingray die ideale Versteckmöglichkeit für die heiße Ware. Als die Ware allerdings in Begleitung ihres Anführers abgeholt werden soll, sehen sie gerade noch die zwei Lebemänner Al und Elmo mit der neu gekauften Stingray davonbrausen. Sie nehmen die Verfolgung auf, wie auch die Polizei, die die beiden in der funkelnden Stingray für Verbrecher hält. Die Hetzjagd hat begonnen, und die Corvette befindet sich mittendrin ... So zumindest trägt es sich im Film „Stingray – Hell on Wheels" zu. Egal ob dunkle Gassen oder zwielichtige Gestalten. Sonnige Highways oder das Gefühl von Freiheit. Die Corvette passt scheinbar überall rein. Sie ist quasi ein Multitalent und ziemlich anpassungsfähig. Wahrscheinlich wurde sie auch deshalb bereits als Teil diverser Hollywood-Streifen auf zig Leinwänden gezeigt. Nicht zuletzt als fahrbarer Untersatz der Hauptdarsteller mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen: „American Gangster", cooles Aufreißermobil oder einfach als die blechgewordene amerikanische Sportlichkeit.

Hier lernst du das Schalten neu

Für uns ist das völlig verständlich, denn das Konzept des Bigsize-V8 ist derart potent und quasi älter als die Sportmarke selbst. Kein „Ami" würde auch jemals Chevrolet Corvette sagen, es ist und bleibt die Corvette. Damals noch als eigenständige Marke geführt, ist sie Opfer von Großkonzernstrukturen geworden, weshalb sie nun ganz offiziell ein Modell von General Motors beziehungsweise Chevrolet ist. Wie dem auch sei, es ändert nichts an der Potenz des Sportwagens, der übrigens noch immer mit Blattfedern unterwegs ist. Querliegend mit separaten Dämpfern, welche besser funktionieren als ihr Ruf. Abhilfe in Form von Gewindefahrwerken gibt es übrigens auf dem Zubehörmarkt. Unter der langen Haube mit einigen Ecken und Kanten wütet der stramme Achtzylinder-Kurzhub-Motor mit 466 PS und 630 Newtonmetern, der sich nicht auf die Arbeitsweise eines Turboladers einstellen muss. Deshalb hängt er auch schon bei Umdrehungen um die 1.000 unheimlich geil am Gas, schiebt wie angestachelt – dem Rochen sei Dank (Stingray heißt übersetzt Rochen) – der Sieben entgegen und hört erst dann auf, mit Vortrieb zu verwöhnen, wenn man das Gaspedal in Ruhe lässt oder sich mit dem Siebengang-Schaltgetriebe (Ja, richtig gelesen!) verhaspelt. Wenn alles glatt verläuft, werden die 1,7 Tonnen Muskelmasse in 4,3 Sekunden auf 100 beschleunigt. Das Beschleunigungsvermögen ist dabei aber nicht immer abhängig von den fahrerischen Qualitäten des Piloten, denn das Zusammenspiel aus Kupplung und Handreißer war teils doch ein bisschen hakelig. Was andere kurz und knackig nennen mögen, fühlte sich für uns wie ein Rührgerät an. Die richtige Gasse (ohne hinschauen) zu treffen, war gar nicht so einfach. Noch nie haben wir uns derart oft verschaltet wie bei dieser Corvette. Zumal man ab dem vierten Gang eh das Gefühl hat, man müsse nochmals herunterschalten. Der fünfte, sechste und siebte Gang ist scheinbar etwas zu lang übersetzt, sodass der Vortrieb mehr oder weniger stark nachlässt.

Mal vier, mal acht Zylinder

Was aber bleibt? Der authentische Musclecar-Beat, der die Armhärchen zum Aufstellen bringt. Sauber! Die siebte Generation der Corvette verkörpert dieses American Feeling wie kein anderer Wagen – außer vielleicht die älteren. Selbstbewusst, stark und unüberhörbar tritt sie auf und posaunt die wahre Lebensfreude aus den einzigartig angeordneten Auspuffendrohren. Mittig ist nichts Besonderes, aber vier Töpfe direkt nebeneinander schon. Diese Anordnung kann man, vor allem als unterlegener Verfolger, eigentlich nur als „Fuck off" interpretieren. Es sei denn, die C7 läuft auf vier Zylindern. Wie bitte? Ja, die Amerikaner offerierten im Jahr 2016 die Direkteinspritzung, variable Ventilsteuerung und die bedarfsweise Abschaltung von vier Zylindern, womit man dann auch nur mit der Hälfte des Motors unterwegs ist. Schon alleine wegen des Klangs spürt man das auch. Dann rollt man in nicht ganz so amerikanischer Manier über die Straßen dieser Welt – nicht sexy, senkt aber den Verbrauch von über 20 auf unter 15 Liter ... Wer sich natürlich hinreißen lässt, hat tendenziell mehr auf der Uhr stehen. Vor allem weil die Corvette wirklich agil zu Werke geht. Mit relativ viel Wankbewegung schießt man in die Kurven und ist stets nur einen Gasfuß vom Slide entfernt. Aber, Vorsicht! Bei Nässe oder feuchten Streckenabschnitten kann die Corvette auch mal zickig werden. Dann überfällt sie einen mit Heckzipperlein, die nicht nur das Drehen, sondern auch einen erhöhten Puls begünstigen. Wenn man Platz hat, macht's Spaß. Aber so präzise wie ein BMW M4 kann sie mit dem Gasfuß bei Weitem nicht gelenkt werden. Vor allem kommt die Gegenbewegung manchmal schneller als einem lieb ist.

Angemessener Preis, solide(re) Verarbeitung

Immerhin ist die Übersicht in der großzügig verglasten Corvette für einen derartigen Sportwagen mit nur 1,20 Meter Höhe äußerst üppig. Zur Not kann man sich aber auch auf die serienmäßigen (Einpark-)Kameras vorn und hinten verlassen. Üppig ist übrigens auch das, was man für knapp 80.000 Euro bekommt: einen überlegenen Sportwagen mit viel Schnickschnack in besserer Qualität als noch beim Vorgänger C6. Auch wenn unser Testfahrzeug bereits bei Auslieferung ein paar Lackfehler an den Scheinwerfereinigungsdüsen und Risse in der Beklebung hatte, ziehen wir ein durchaus positives Fazit. Die Corvette bietet das, was man als Käufer auch erwartet – ein auffälliges Musclecar mit bärenstarkem V8 und dem richtigen Beat inklusive böser Blicke von Toyota-Prius-Fahrern. Obendrauf gibt es das Gefühl der amerikanischen Freiheit – egal ob in Kleinkleckersdorf oder in Los Angeles. Jawohl, wir hatten „Muscle".

FAZIT – 4 von 5 Sternen

„Ordentliches Powerpaket zu einem fairen Kurs" 

Wer sich eine Corvette zulegen will, möchte auffallen. Dabei bietet der Ami-Sportler weit mehr als nur optische Qualitäten: Dank messerscharfem 6,2-Liter-V8-Sauger geht die „Vette" gut voran, lässt sich dazu trotz Blattfedern gut fahren, auch wenn die Wankbewegungen und das zickige Heck ein bisschen entschärft werden könnten. Die Verarbeitungsqualität ist besser geworden, aber erreicht (natürlich) nicht den deutschen Standard. Und der Preis? Sagen wir mal so: Es wird schwierig, mehr neuen Sportwagen für weniger Geld zu bekommen.

DATEN & FAKTEN 

Corvette Stingray Coupé 3LT (2017)

MOTOR V8-Saugmotor (LT1) mit 6.162 ccm Hubraum
FAHRWERK Heckantrieb; Doppelquerlenker; querliegende Blattfedern mit separaten, adaptiven Stoßdämpfern (Magnetic Selective Ride Control); Drive Mode Selector mit fünf wählbaren Fahrmodi und Launch Control
RAD/REIFEN schwarze Aluminiumfelgen in 8,5 x 19 Zoll vorn und 10 x 20 Zoll hinten
KAROSSERIE Außenfarbe Arctic White; Heckspoiler und Außenspiegel in „Carbon Flash"; Doppelstreifen über gesamte Fahrzeuglänge in „Carbon Flash"; abnehmbares Dach-Element
BREMSEN 345-x-30-mm-Bremsscheiben vorn; 338-x-26-mm-Scheiben hinten; Aluminium-Bremssättel
GETRIEBE 7-Gang-Handschaltung mit Zwischengas-Funktion (Active Rev Match)
INTERIEUR Nappa-Lederausstattung „Black", Competition-Sportsitze; Carbon-Ausstattungspaket; Performance Data Recorder; Head-up-Display
MULTIMEDIA 8-Zoll-Navigationssystem; Bose-Soundsystem mit zehn Lautsprechern
ABMESSUNGEN & GEWICHT 4.492 x 1.872 x 1.239 mm (LxBxH); 1.614 kg (betriebsbereit, manuelles Getriebe)
FAHRDATEN 466 PS bei 6.000 U/min und 630 Nm bei 4.600 U/min; Beschleunigung von 0 auf 100 in 4,2 Sekunden; Vmax: 290 km/h; Kombinierter Verbrauch: 12,3 Liter (Herstellerangabe); Testverbrauch 18,4 Liter
PREIS Basispreis: 84.050 Euro; Extras: 8.500 Euro; Testwagenpreis: 92.550 Euro