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Fahrbericht: Ford Focus RS (2017)

Verstehen Sie Spaß?

27.11.2017 13:21 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Markus Leser


Um den Focus RS in vollen Zügen fahren und genießen zu können, bedarf es einer gehörigen Portion Humor. Und eines gewissen Verständnisses dafür, was der RS sein will und was nicht. Wer sich darauf einlässt, wird garantiert belohnt. Eine Ausfahrt.

Beschleunigungswerte, Querdynamik, Slalomgeschwindigkeit – klasse, oder? Was sich nicht so alles messen lässt ... Von den Fahrleistungen über den Kurven-Speed bis hin zu den Bremswerten sind es in so manchem Vergleichs- und Autotest die absolut staubtrockenen Messwerte, die letztlich über das entscheidende Quäntchen Fahrspaß entscheiden. Aber mal ehrlich: Wer von euch da draußen hockt sich in ein augenscheinliches Spaßgerät und zieht sich erst einmal dessen technische Daten rein? Wir sind davon überzeugt, dass es eigentlich die Emotionen und Gefühle sind, die letztlich über die Fahrfreude entscheiden. Und am Ende den Spaßfaktor bestimmen. Okay, den letzten Absatz noch mal durch den Kopf gehen lassen ... Ja, wir meinen es tatsächlich so! Unter dem Strich sind es also vollkommen blödsinnige Dinge wie ein Kreisverkehr oder ein Schotterweg, die den Unterschied machen. Sie sagen oft mehr aus als doofe Zahlen und Punktetabellen.

Drift-Modus: So geht quer mit Allrad!

Apropos Schotterweg. Das passt ganz gut zum Thema Spaß haben und RS fahren – denn diese Initialen stehen bei den Kölnern seit jeher für Rennspaß ... ähm, 'tschuldigung, Rallyesport natürlich. Und gerade deshalb haben wir Platz genommen – selbstredend, dass für uns nur der Fahrersitz infrage kommt. Den Wegweiser darf jemand anderes spielen. Und dann geht's auch schon los. Gepflegt über Land gleiten – fürs gute Gewissen – und dann kurzerhand über Stock und Stein hetzen. Das macht Laune! Aber nur, wenn du begreifst, was der RS sein will. Du musst in der Lage sein, das zu beherrschen, was er von dir fordert. Im Vergleich zu seinem Vorgängermodell ist das Auto, das wir unter dem Hintern haben, doch etwas ganz anderes. Ja, in der Tat, die Neuerungen lassen sich im Grunde genommen vereinfacht so ausdrücken: tschüss Fünfzylinder, hallo Allrad und Drift-Modus. So wird aus dem einstigen Frontkratzer-RS tatsächlich ein übersteuernder, teils ungestümer, aber gerade deshalb auch so symphatischer Kompaktsportler.

Einer, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Das hört sich zunächst etwas seltsam an, ist aber gerade in Zeiten, in denen sich jeder Hersteller mit Nordschleifenrekorden zu überbieten versucht, eine reine Wohltat. Ne Sekunde schneller auf'm Ring? Sch... drauf! Dafür macht der hier um Längen mehr Spaß! Auch wenn die 350 PS und 440 Newtonmeter aus einem Zylinder weniger kommen, schafft es der RS jetzt in etwas mehr als fünf Sekunden auf Landstraßentempo. Damit ist er rund eine Sekunde schneller als sein Vorgänger (5,9 Sekunden), obwohl er die recht optimistische Werksangabe von 4,7 Sekunden nicht erreicht. Vermutlich hat er mit 1,6 Tonnen einfach zu viel Speck auf den Rippen, längsdynamisch spielt er auf jeden Fall mindestens eine Liga unter dem Audi RS3. Hinzu kommt die unabhängig einstellbare ESP-Systematik, mit der sich das Fahrerlebnis nach Belieben straffen lässt. Im Normalmodus klingt der 2,3-Liter-Turbovierzylinder gedämpft, das Adaptivfahrwerk zeigt sich weitestgehend komfortabel, wenngleich man merkt, dass es mit Komfort nur wenig am Hut haben möchte. Vielmehr kommt der Focus im Fahrmodus „Track" aus den Puschen. Dann werden Fahrwerk, Lenkung, Gasannahme und Motorcharakteristik sowie das Allradsystem an die sportlichere Gangart angepasst und einer locker-flockigen Kurvenhatz steht nichts mehr im Weg. Kein Vergleich zum Vorgänger, welcher – bei allem Respekt – trotz des Vorderradantriebs auch kein schlechtes Auto war.

Emotion trotz Vierzylinder

Trotzdem legt der Hatchback in Nitrous-Blaumetallic dann noch mal eine Schippe drauf. Das fühlt man nicht nur, das hört man auch. Neben dem brettharten Fahrwerk ist es vor allem auch der Klang des RS, der unser Herz höherschlagen lässt. Zum Glück haben die Soundingenieure dabei unsere größte Befürchtung zunichtegemacht: Denn mit dem Downsizing kam die Angst, der einst so sonore Fünfendersound würde verloren gehen. Der Klappenabgasanlage ist es zu verdanken, dass der dumpfe, basslastige Klang noch immer vorhanden ist – trotz Mainstream-Aggregat aus dem Ford Mustang Ecoboost. Verschmerzbar, wie wir finden. Im Modus „Sport" rotzt es hinten dafür so schön dreckig raus, dass es eine wahre Wonne ist. Vollgas, zweiter Gang, Gaspedal lupfen – schon schießt der Focus aus seinem mächtig dimensionierten Doppelendrohr, als hätten wir heute schon Silvester – ja, ernst kann nämlich jeder!

Nicht ganz makellos

Dem Allradsystem mit seinen beiden unabhängig gesteuerten Kupplungen ist es geschuldet, dass sich der „K-QA 2876" so flexibel durchs Beet zirkeln lässt. Wenn dann auch noch der Schotter schön durch die Radhäuser rasselt, fühlt man sich erst recht wohl. Trotz der Gewichtsverteilung von 58 Prozent (Front) zu 42 Prozent (Heck) untersteuert der Kompakte so gut wie gar nicht – Respekt! Erst recht nicht im besagten Drift-Modus, der schon so viele Lorbeeren eingeheimst hat. Tatsächlich lässt sich der RS in Kombination mit ausgeschaltetem ESP so ziemlich gut quer treiben. Einlenken und gefühlvoll Gas geben – das alles geht einem erstaunlich einfach von der Hand und zeigt, wie flexibel der Antrieb wirklich ist. Bleibt die Frage, was das ganze Rumgerutsche am Ende eigentlich gebracht hat ... Ach so, nun: Spaß! Nichts anderes.

Dahin gehend könnte man das Ford-typische Cockpit mit seinem Knöpfchenwirrwarr, dem viel zu kleinen Display und der teilweise hakeligen Bedienbarkeit des lieblos gestalteten Infotainmentsystems auch als schlechten Scherz verstehen. Kleines Praxisbeispiel: Versucht doch mal, beim Fahren auf einer etwas unwegsamen Straße per Fingertipp alle Bedienelemente auf Anhieb zu treffen – dank des knüppelharten Dämpferwerks gar nicht so einfach. Zumal die Sitzposition der serienmäßig verbauten Recaro Sportster CS gefühlt höher ist als die im heimischen Sessel. Aber egal. Hauptsache, man hat die drei Anzeigen für Turboboost, Öltemperatur und Öldruck im Blick und den kurz und knackig ausgelegten Sechsgangschalter im Ledersäckchen in der Hand. Das muss man zu würdigen wissen. Denn wo gibt's so etwas noch? Nicht zuletzt damit unterstreicht der Focus RS seinen Charakter. Er will angepackt werden und pfeift auf schnelle Zeiten. Dafür macht er unbeschreiblich viel Spaß – und darum geht es am Ende ja auch.

FAZIT:
Es mag zwar schnellere Kompaktsportler geben, dafür aber kaum welche mit mehr Emotionen. Wer einen Hang zur Selbstinszenierung hat, der wird den RS bestimmt lieben. Im Vergleich zu einem zivileren Golf R ist er außerdem optisch und fahrdynamisch nicht ganz so verweichlicht – für das gleiche Geld. Und gerade weil er sich selbst nicht so ernst nimmt, ist er eben auch erfrischend anders. Das liegt nicht zuletzt am quietschfidelen Drift-Modus. Dieser Erkenntnis tut am Ende auch der Vierzylinder keinen Abbruch. Dennoch hinterlässt das Interieurdesign samt Sitzposition ein paar kleine Flecken auf der hellblauen Weste. Aber das nehmen wir mit Humor!

TECHNISCHE DATEN

Ford Focus RS, Baujahr 2017

Motor Turbo-Vierzylinder (R4, EcoBoost) mit 1,6 bar Ladedruck; 2261 ccm Hubraum; 257 kw (350 PS) bei 6.000 U./min
Fahrwerk Allradantrieb, RS-Gasdruckstoßdämpfer variabel einstellbar, divese Fahrmodi „Normal", „Sport", „Track" und „Drift"; ESP variabel einstellbar Karosserie: RS-Ausstattung mit RS-Dachspoiler (Serie)
Getriebe Sechsgang-Schaltgetriebe
Auspuff RS-Klappenauspuffanlage
Car-HiFi Navigationssystem inkl. Ford Sync 3 mit AppLink und Touchscreen, Sony-Sound-System (RS-Performance-Paket 1)
Rad/Reifen Leichtmetallräder in 8J x 19 ; 20-Speichen-Design in Grau; 235/35-R19-Reifen Michelin Pilot Super Sport (RS-Performance-Paket 1)
Interieur RS-Einstiegszierleisten vorn; RS-Lederlenkrad im 3-Speichen-Design; RS-Lederschaltknauf; Recaro-Schalensitze inklusive Leder-Stoffpolsterung (RS-Performance-Paket 1)
Bremsen RS-Bremsanlage mit innenbelüfteten Scheibenbremsen vorn (350 mm) und Brembo-Bremssätteln; lackiert in Nitrous-Blau Metallic (150 Euro)
Gewicht 1.454 kg; Leistungsgewicht 4,2 kg/PS; Tankvolumen: 62 l
Fahrleistung 4,7 s von 0 - 100 km/h; Höchstgeschwindigkeit 266 km/h
Preis 40.000 Euro; Testwagen mit Sonderausstattung: 45.030 Euro