Golf 7 R Facelift (2017/2018)
Zu perfekt ist auch nicht gut
20.06.2018 10:26 Uhr
Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Markus Leser
Mit dem Facelift bekommt der Golf 7 R nicht nur zehn PS mehr, sondern optional auch Extras wie Akrapovic-Auspuff oder eine neue Performance-Bremsanlage. Hat „er" das „R" wirklich verdient und etabliert er sich als Golf-Superlativ?
Es gibt wohl kaum ein Fahrzeug auf dem Markt, welches in so vielen Ausführungen und mit so vielen Antriebsmöglichkeiten zu haben ist. Und vor allem keines, welches sich so hervorragend als Diskussionsgrundlage eignet. GTD, GTE, GTI oder R – die sportliche Ausrichtung ist wahrlich eine Glaubenssache. Diesel? Klingt langweilig. Elektro? Klingt nach nix. GTI? Klingt besser, hat aber Frontantrieb. Dann käme vielleicht der Clubsport in Betracht, welcher sich fast wie ein Allradler fahren lässt. Aber eben nur fast. Und der R? Ja, der hat eigentlich all das, was das Sportfahrerherz braucht: einen starken Vierzylinder mit 310 PS, ein straffes Fahrwerk und aktiven 4Motion-Allradantrieb. Dazu gibt es seit Neuestem Performance-Extras wie die Akrapovic-Titanabgasanlage, eine gelochte Bremsanlage mit speziellen Bremsbelägen vorn, einen Aufsatz für den Heckspoiler sowie die Vmax-Aufhebung, sodass der Kompaktsportler auf knapp 270 km/h beschleunigen darf – und das ab Werk. Klingt gut! Scheinbar sind die Jungs der R GmbH auf den Trichter gekommen, ein bisschen mehr Individualisierung und mehr persönlichen und sportlichen Touch für viel Geld dem Kunden zu überlassen. Und dann gibt es leider auch noch einen Haken: Rein optisch macht der GTI (Clubsport) mehr her. Die roten Akzente stehen einfach für mehr Sportfahrergeist, finden wir. Zudem gibt es seit dem 6er-R keine Sportschalen mehr dazu. Clubsport und Clubsport S dürfen aber welche haben – Sinn? Keine Ahnung ...
Trägt man alle Punkte zusammen, so fällt uns eine Positionierung des vermeintlich sportlichsten Golf schwer. Wenn es um die „hard skills", also PS, Technik et cetera, geht, ist er ganz klar das Maß aller Dinge. Betrachtet man hingegen die „soft skills" wie das sportliche Aussehen, so dürften die Stammtischgespräche eher in Richtung GTI tendieren. Und wenn alles nix mehr hilft, dann schwelgt man mit Golf 4 oder 5 R32 in „sechsy" Erinnerungen – jaaa, das waren noch echte Eigenbrötler mit ganz besonderem Charme. „Und sowieso gibt es keinen besseren Motor als den VR6", werden viele Fans jetzt sagen ... Scho' recht. Vielleicht hat das ja jetzt endlich mal ein Fan nach Wolfsburg gezwitschert? Denn auf einmal wird das Thema R420 wieder aktuell, nachdem es wegen des Abgasskandals vorerst auf Eis gelegt worden war. Jüngst wurde eine neue Ausgeburt des Brutalo-Golfs auf der Nordschleife entdeckt und Kenner haben sogar geschworen, er hätte geklungen wie ein Fünfzylinder von Audi! Vielleicht passt dann auch mal die Optik zur Leistung, liebes Volkswagen-Team?! Denn das ist eigentlich das größte Problem des Golf R, auch in der neuen Facelift-Version. Denn auch mit neuen Schürzen und neuem Leuchtendesign wirkt der Golf ziemlich zurückhaltend.
Zugegeben: Kritik sollte immer konstruktiv sein. Pädagogisch korrekt wäre es zudem, erst mit dem Lob anzufangen und mit der Negativkritik zu enden. Aber wir haben sehnlichst darauf gewartet, uns mal unseren Frust von der Seele zu schreiben. Über einen R sollte man nicht diskutieren, er sollte das Topmodell sein, ohne Wenn und Aber – und das optisch wie auch technisch! 4er-, 5er- oder 6er-R genossen noch eine gewisse Alleinstellung, was beim aktuellen Modell ein wenig verloren gegangen ist. Diesen Part scheint ein GTI Clubsport übernommen zu haben. Er ist optisch eigenständiger und belohnt dank hervorragender Gesamtabstimmung, geringerem Gewicht und Semislicks mit teils besseren Rundenzeiten. Wobei man fairerweise sagen muss, dass der Golf R in Sachen Vortrieb und Grip dank des Allrads eine Liga höher spielt. Der Zweiliter-TSI ist hochelastisch, spricht mindestens genauso schnell an wie eine Frau auf ein Schaufenster mit Schuhen und verwöhnt mit wirklich sensationellem Vortrieb ohne den Hauch eines Schlupfproblems. Unser Testwagen war mit dem neu gestalteten DSG ausgestattet, welches statt 380 Newtonmetern nun ganze 400 zur Verfügung stellt. Das macht sich durchaus mehr bemerkbar als die zehn Zusatz-PS. Denn wo sich das „alte" DSG vorher noch ein wenig Zeit ließ und ab und zu mal bei plötzlichen Vollgasattacken überfordert zeigte, ist die Ganganbindung jetzt so geschmeidig und flott wie noch nie – uns ist bisher kaum eine schnellere Automatik untergekommen, ehrlich! Alle anderen, die sich für den Handschalter entscheiden, sei es aus Kostengründen oder einfach aus emotionalen Belangen, müssen sich auch weiterhin mit 380 Newtonmetern Drehmoment und einem latschigen Kupplungspedal zufriedengeben.
Auf Lastwechsel reagiert der Allrad-Power-Golf ohne unangenehme Überraschungen und wartet – je nach Bereifung – mit enormem Grip auf. Leichte Kurven können voll genommen werden, beim beherzten Anbremsen wedelt das Heck leicht mit und dreht kontrolliert ein, sodass man ohne Probleme mit vollem Gaseinsatz vom „4Motion" durch die Kurve getragen wird – und dabei sogar noch richtig schnell ist. Dennoch wird dem ambitionierten Sportfahrer das gewisse Salz in der Suppe fehlen. Das Frontmotor-Konzept und der Allradantrieb sorgen eher für ein untersteuerndes Fahrerlebnis ohne Tücken und Raffinessen. So richtig gefordert wird und emotional berührt wurden wir nicht. Die Serienabgasanlage von „WOB-DA 546" brummt zwar basslastig, spuckt aber nur dünne Tönchen aus. An dieser Soundkulisse ändert leider auch die mit 3.800 Euro extrem teure Zusatzoption der Titan-Abgasanlage von Akrapovic kaum etwas, dachten wir, als wir sie in Wolfsburg vorgeführt bekamen. Diese hört sich zwar vom Klang schöner an, ist aber ebenfalls viel zu leise und wird sogar vom Sound-Symposer im Innenraum überdeckt. Das kann ein Fiat, Ford oder Honda besser. So müssen wir leider ehrlich sein: Wer wirklich einen emotionalen und sportlichen Kompakten möchte, der sollte tatsächlich zu einem Focus RS, Civic Type R oder Renault Megané R.S. greifen. Diese haben zwar nicht alle Allrad, klingen aber lauter, sind billiger, mindestens genauso schnell und machen optisch um Längen mehr her. Der „neue" Golf R ist technisch so einwandfrei wie unemotional – da hilft nur echtes Tuning! Es bleibt die Hoffnung, dass sich zumindest der nächste Sport-Golf (R420?) deutlich vom Einheitsbrei absetzen wird. So ist's doch – oder, liebe Wolfsburger?
Der Golf R (Facelift) ist wahrlich kein schlechtes Auto – und vor allem kein langsames. Die 310 PS harmonieren hervorragend mit dem überarbeiteten DSG, welches so ruckelfrei und schnell schaltet wie noch nie. Vortrieb und Grip sind vor allem dank Semislicks auf unschlagbar hohem Niveau. Allerdings missfällt uns die scheinbar immer glatter werdende Optik. Wo sind die Ecken und Kanten der vorherigen R-Modelle geblieben?
Volkswagen Golf 7 R Facelift (2017/2018)
MOTOR | 2.0 TSI (Vierzylinder, Turboaufgeladen, quer eingebaut); 1.984 ccm Hubraum mit 310 PS |
LEISTUNG | 228 kW / 310 PS; 400 Nm Drehmoment (DSG); 380 Nm Drehmoment (Handschalter) |
KAROSSERIE | R-Paket |
FAHRWERK | 4Motion-Allradantrieb; Sportfahrwerk mit adaptiver Fahrwerksregelung DCC und 20 mm Tieferlegung |
BREMSEN | 17-Zoll-Bremsanlage; 340 x 30 mm vorn innenbelüftet und 310 x 22 mm hinten |
GETRIEBE | 6-Gang-Schaltgetriebe serienmäßig; 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe optional |
AUSPUFF | vierflutig in Duplex-Anordnung links und rechts |
REIFEN/FELGEN | Pretoria in 8 J x 19 Zoll in Schwarz; Semislicks Michelin Pilot Sport Cup in 235/35 R19 |
INTERIEUR | R-Paket; Active Info Display; Top-Sportsitze vorn; Car-Hifi: Navigationssystem „Discover Pro" und Soundsystem „Dynaudio Excite" |
VERBRAUCH | Innerorts: 8,7 Liter / 100km; Außerorts: 6,0 Liter / 100km; Kombiniert: 7,0 Liter / 100km; Testverbrauch der Redaktion: 10,3 Liter |
GEWICHT | 1.483 kg (2-türig); 1.505 kg (Viertürer) |
FAHRLEISTUNGEN | 0 -100 km/h in 4,6 Sekunden (DSG,) 250 km/h Topspeed (abgeregelt) |
PREIS | ab 41.175 Euro |