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Oettinger GTI Clubsport (2016)

Leistung ist nicht alles

09.04.2018 18:45 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Markus Leser


Wir hatten mal wieder so richtig Bock auf einen echten Tuning-Golf der alten Schule. Und wer könnte sich damit besser auskennen als Traditions-Tuner Oettinger? Niemand! Deshalb haben wir uns den hausgetunten Clubsport mit 381 PS ins Haus geholt.

Bei Oettinger läuft's! Neee ... Noch besser: Bei Oettinger rennt's. Vor allem das Geschäft. Überhaupt keine Spur von Altersmüdigkeit, obwohl es den Traditions-Tuner bereits seit über 70 Jahren gibt – genauer gesagt seit 1946. Kleine Geschichtsstunde: Gegründet aus der Idee, dem „wohl einzig wahren" Volkswagen, einem Käfer, zu mehr Vortrieb zu verhelfen, ging das Unternehmen „OKRASA" hervor. Eine längst ausgediente Abkürzung für „Oettinger Kraftfahrttechnische Spezial Anstalt", die zu jenem Zeitpunkt total modern war und für Innovation stehen sollte. Nicht zuletzt, weil der Ur-Käfer zum Grundstein einer weitreichenden Erfolgsgeschichte werden sollte. Bahnbrechende Entwicklungen wie die ersten 16- und 20-Ventil-Motoren, die noch heute Standard im modernen Motorenbau sind, oder auch der erste Sechszylinder-Wasserboxer sind Entwicklungen aus dem Hause Oettinger. In den folgenden Jahrzehnten brachte der Tuner weitere Innovationen auf den Markt – wohlgemerkt zu einer Zeit, in der Tuning noch in den Kinderschuhen steckte. Das machte Oettinger zu einem der weltweit renommiertesten Veredler für die Volkswagen-Konzernmarken Audi, Volkswagen, Seat und Škoda.

Tradition verpflichtet

Während viele Unternehmen den Tuning-Aufschwung der 1990er-Jahre mitnahmen, allerdings wenig später von der Bildfläche verschwanden, hat das Veredelungsprogramm des in Friedrichsdorf bei Frankfurt ansässigen Tuners noch bis heute Bestand. Und noch immer stehen Leistungssteigerungen im Fokus. Vom „einfachen" Chip-Tuning bis hin zu aufwendigen Komplettumbauten jenseits der 500 PS steht den Kunden von heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Auswahl. Selbst die „Polizei" vertraut augenscheinlich den Oettinger-Jungs, wenn es um Performance geht. So wurde erst vor Kurzem eine Weltpremiere auf der Essen Motor Show gefeiert. Dort hatte die Initiative für sicheres Tuning namens Tune It! Safe! ihr Kampagnenfahrzeug, einen Golf R 400 mit 290 km/h Topspeed, vorgestellt. Dieser Wagen war dann alsbald in aller Munde – nicht nur wegen der geringen Fahrwerkshöhe. Dennoch: Bessere Werbung geht nicht! De facto lag für uns auf der Hand, dass der nächste „Tuning-GTI" von Oettinger sein muss. Und zwar nicht irgendein „Normalo-" oder „Performance"-Golf. Nein. Viel besser. Ein Clubsport, der ja ohnehin schon eine ordentliche Portion Werks-Tuning enthält und schon rein in der Basis viel Spaß bereitet – egal ob als S oder nicht. Also eigentlich kann die Symbiose aus Tuning-Expertise und heißem Basisgerät nur ein Erfolgsgarant werden, nicht wahr? Oder birgt die nahezu perfekte VW-Abstimmung gar kein weiteres Verbesserungspotenzial?

Semi-Slicks, bitte!

Beim GTI Clubsport war weniger die Leistungssteigerung auf 381 PS ein Kunststück als vielmehr eine Steigerung der Straßenlage und des ohnehin schon sehr guten Handlings. Die Mehrleistung resultiert dabei aus optimierter Software, einer modifizierten Luftansaugung via Racingline-Komponenten und größerem Ladeluftkühler. Hinzu kommt eine geänderte DSG-Software mit kürzeren Schaltzeiten und eine bis 650 Newtonmeter verstärkte Kupplung. Summa summarum fallen nun über 110 PS mehr über die Vorderräder her. Und das alles sogar mit dem Serien-Turbolader wohlgemerkt, welcher bekanntlich vom 7 R stammt. Damit haben wir auch schon den Knackpunkt: Denn die GTI-typische Antriebsform hatte uns in der Vergangenheit bereits öfter Kopfschmerzen bereitet – nicht selten lautete das Fazit: „Der kriegt die Kraft nicht auf die Straße." Auch beim Oettinger-Clubsport merkt man deutlich die Krafteinflüsse. Die auf Clubsport S umgebaute Vorderachse (Aluminium-Vorderachsträger) hat es zusammen mit den montierten Dunlop-Sport-Maxx-Reifen nicht leicht, den Golf in der Spur zu halten. Dazu neigt er durchaus zum „Wedeln" wie ein aufgedrehtes Hündchen mit seinem Schwanz und macht seinem Namen „Frontkratzer" alle Ehre – das wirkt leicht pubertär, passt aber irgendwie zum Jungspund-Image. Außerdem dürften Semis erfahrungsgemäß Abhilfe schaffen und für diesen Super-Golf ein unverzichtbares Zubehör sein. Apropos, Zubehör: Tuner Oettinger war so sehr vom Portfolio des Fahrwerksherstellers KW angetan, dass er dem Clubsport direkt ein Clubsport 3-way mit Rennventiltechnik implantierte. Damit liegt er wie das sprichwörtliche Brett auf der Straße und bügelt Fahrbahnunebenheiten gekonnt hinweg – das ist in der Tat eine Verbesserung!

Wenn nicht Oettinger, wer dann?

Aber warum beschweren? Wir wollten es ja so. Wir wollten einen ordentlich getunten Golf mit Hang zur Unvernunft, welcher endlich mal keine halben Sachen macht. Hier, bitte schön. Das war früher sicher auch nicht anders. Außerdem hat sich Oettinger schon mit allen Golf-Epochen beschäftigt, angefangen mit dem 1er-GTI. Also wenn die es nicht können, wer dann? Was auf jeden Fall andere besser machen, sind die Sitze ... Unser erster Blick ins Fahrzeuginnere offenbarte die optional erhältlichen (!) „Top-Sportsitze" vorn – normalerweise wurde der Clubsport aber immer serienmäßig mit super bequemen und straffen Recaro-Schalen geliefert. Ein bisschen enttäuscht waren wir schon, denn ein Clubsport ohne Schalensitze ist für uns wie „Kölle" ohne Karneval. Nun ja, Schwamm drüber. Bis auf die Fußmatten blieb im Interieur alles im Serientrimm. Auch das super griffige Alcantara-Lenkrad mit Zwölf-Uhr-Markierung, Schaltpaddels und Alu-Applikationen – gut genug ab Werk, liebe Oettinger?

Vergesst den Clubsport S!

Wer konnte, holte sich damals bei VW gleich einen auf 400 Stück limitierten Clubsport S. Zumindest, wenn es noch einen gab, so schnell waren sie vergriffen. „Können" bezieht sich auf die Finanzen oder die Gewissheit, niemals mit mehr als einem Mitfahrer unterwegs sein zu wollen. Denn der „S" war ein Tracktool ab Werk und hatte einen leer geräumten Fond – des Gewichts halber. Grund zum Trauern gibt es aber nicht. Im Gegenteil: Der Oettinger Clubsport bleibt bei seiner Rücksitzbank, sodass vier Kumpels dem Sound der Oettinger Sportauspuffanlage ab Turbolader lauschen dürfen. Diese gehört sogar zur Pflicht, um die Leistungssteigerung realisieren zu können, und besteht im Gesamten aus einem HJS-Hosenrohr (76 Millimeter Durchmesser) mit Sportkat sowie Vor- und Endschalldämpfer. Das macht die Akustik des Vierzylinders zwar hörbar sportlicher, ein Klangwunder wird der Golf dadurch aber trotzdem nicht.

Fest zutreten ist angesagt 

Mit neuer Leistung scharrt sich der Über-GTI in etwas über fünf Sekunden auf die 100er-Marke. Die Herstellerangabe von 4,9 Sekunden war aufgrund der Straßenreifen aber in weiter Ferne. Dennoch ist er wesentlich flotter, agiler und elastischer unterwegs als das Serienpendant. Zu verdanken haben wir das dem 500-Newtonmeter-Drehmoment (plus 150 Nm), welches zwar erst über zweieinhalb Touren ansetzt, dann aber mit einer Vehemenz nach vorn drückt, dass die ungetunte Basis wirklich alt aussieht – top! Und weil Oettinger grundsätzlich keine halben Sachen macht, ist mit der gesteigerten PS-Zahl auch eine größere Bremse Pflicht. Vorn verzögert nun eine Vierkolben-Bremsanlage vom Audi TT RS inklusive Sportbremsbelägen und Stahlflex-Leitungen. Wer beherzt aufs Pedal latscht, wird mit hervorragenden Verzögerungswerten belohnt, muss aber auch darüber hinweghören können, dass sich das Fahrzeug im Normalbetrieb anhört, als würde ein Güterzug neben dir bremsen. Und wegschauen, wenn die Leute doof gucken. Nichtsdestotrotz spürt man die Erfahrung von über 40 Jahren Golf-Tuning nicht nur, man erfährt sie hautnah. Insgesamt betrachtet ist der Oettinger Clubsport ein attraktives Sportpaket und lässt alte Zeiten aufleben. Zeiten, in denen ein Golf 1 GTI noch richtig gefürchtet war. Nur dass es heute ein 7er ist. Willkommen im Club.

FAZIT: 3,5 von 5 Sternen – "Hier kommt der Frontantrieb an seine Grenzen"

Ich fahre selbst einen GTI Clubsport und finde, dass dieser schon im Serienzustand die Idee des sportlichen Fronttrieblers perfektioniert. Kein anderer Kompakter fährt sich so zielgenau, ohne merklich zu untersteuern. Tuner Oettinger ist es gelungen, das Grip-Niveau dank Clubsport-S-Achse sowie KW-Fahrwerk auf die Spitze zu treiben und das Potenzial des Clubsport noch weiter auszuschöpfen – Respekt! Aber egal wie gut das Fahrwerk-Setup auch sein mag: 381 PS sind einfach zu viel für die Vorderachse. Das „Radieren" und „Wedeln" mit Straßenreifen schmälert den Spaßfaktor. Einzige Lösung: „I'll wait for Semislicks!"

DATEN & FAKTEN

Golf 7 GTI Clubsport von Oettinger (2016)

MOTOR Oettinger-Motormanagement/Kennfeldanpassung auf 380 PS; Vmax-Aufhebung; Raceline-R600-Intake mit Sportluftfilter; Performance-Ladeluftkühler vergrößert und verstärkt (IE- oder Wagner-Ladeluftkühler)
FAHRWERK Umbau auf Cubsport-S-Vorderachse; KW-Gewindefahrwerk Clubsport 3-way mit Rennventiltechnik
RAD/REIFEN Komplettradsatz OZ Ultraleggera HLT (Matt Graphite) in 8,5 x 19 ET 47; Bereifung: Dunlop Sport Maxx Race in 235/35/19
KAROSSERIE Folierung in Silber-Rot; Frontgrill, Scheinwerferblenden und 500R-Motorhaube von Oettinger
BREMSEN 4-Kolben-Hochleistungsbremse vom Audi TT RS inklusive Sportbremsbelägen und Stahlflex-Leitungen mit ein- oder zweiteiligen Brems-sscheiben (370 x 32 mm / 380 x 32 mm)
AUSPUFF Schalldämpfer ab Turbolader, bestehend aus HJS-Hosenrohr 76 mm) mit Sportkat, Vor- und Endschalldämpfer
GETRIEBE DSG-Softwareoptimierung; 7-Scheiben-DSG-Kupplung verstärkt bis 650 Nm
FAHRDATEN 380 PS bei 5.500 U/min; max. Drehmoment: 500 Nm bei 2.600 U/min; Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4,9 Sekunden; Vmax: 280 km/h
PREISE  Grundpreis: 34.925 Euro (Stand: 2016); Umbaukosten: 20.145 Euro; Gesamtpreis: 55.070 Euro